Schulaufgaben
zu bleiben, konnten Susanne und Michael nicht erfüllen. Sie gehörten nicht zum wohlhabenden Bildungsbürgertum und auch nicht zu den neuen Reichen der Welt. Natürlich gönnten sie Alex die Schule von Herzen, auch seinen Abschluss in Cambridge. Doch sie konnten die Schulgebühren nicht zwei weitere Jahre tragen. Alex war das sofort klar. Er schaffte es dennoch und wird im kommenden Jahr sein IB in England ablegen. Wie das? Alex hatte sich über das gesamte Pre-IB hinweg angestrengt und in fünf von sechs Fächern eine Sieben und damit die höchste Punktzahl erreicht. Nur in Ökonomie war er etwas schlechter. Seine Leistung und seine Motivation brachten ihm ein Stipendium der Schule ein. Damit hatte niemand gerechnet. Seine fachlichen Interessen änderten
sich ebenfalls. Orientierte er sich früher an den Berufen der Eltern, so sind es heute Biologie und Psychologie, die ihn besonders reizen.
Ich würde diese Geschichte nicht erzählen, ginge es nur um ein Einser-Patenkind. Warum sollte man auf eine Schulform hinweisen, die nur einem so kleinen Kreis von Jugendlichen offensteht? Ich tue das nur, weil ich aus tiefstem Herzen davon überzeugt bin, dass die Unterrichtsformen und -inhalte dieser Schule auch bei uns eingeführt, gelehrt und gelebt werden können – und sollten. Das gerade mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnete Gymnasium in Neuruppin und alle vorherigen Preisträger wurden ausgewählt, weil sie die Prinzipien »Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schulklima, Schulleben« 5 erfüllen.
Alex hat mehr als das Lernen gelernt. Er hat denken gelernt, ist verantwortungsvoller geworden, interessierter und interessanter. Dies – und nicht die guten Noten – sind die wichtigen Veränderungen in seinem und unserem Leben.
Vielleicht wäre Alex auch ohne seine englischen Wanderjahre zu dem geworden, der er heute ist. Wir wissen es nicht. Mit Sicherheit können wir jedoch sagen, dass er viel gewonnen hat. Er hat profitiert: vom Vertrauen der Lehrer, ihrer Unterstützung, vom Wissen, warum man was macht. Von der Breite und Vielfalt des Unterrichts, den vielen Nationalitäten der Schüler. Die Wahrscheinlichkeit des Gelingens erhöht sich in solchen Systemen. Leider aber gibt es nur wenige solcher Schulen, seien sie nun in England oder auch hier bei uns. Und leider haben nur sehr wenige Kinder solche Optionen. Wie kann das sein? Liegt es nur am Geld?
Am 7. April 2012 fand in England die traditionelle jährliche Ruderregatta auf der Themse statt: Die Achter der Universitäten von Cambridge und Oxford traten gegeneinander an. Erstmals wurde das Rennen unterbrochen. Ein Schwimmer störte unversehens: Er wollte ein Zeichen gegen die Elite
setzen. Der Vorfall irritierte die Ruderer so sehr, dass beide Boote kollidierten, ein Boot fast aufgeben musste und die Siegermannschaft die Ehrung nicht annahm.
Das College in Cambridge ist Teil der Elite. Nur wer Geld hat, findet den Weg dorthin und kann sich die breite und teure Bildung leisten. W ir alle sollten schwimmen, stören und protestieren. Eine solche Bildung, solche Lehrer, solche Schulen, solche Fächer verdienen alle Schülerinnen und Schüler. Das sollte unser Ziel sein. Solche Schulen sind machbar. Wir dürfen nicht länger warten.
Wie wir das Bildungssystem verändern müssen
KAPITEL 12
Einer für alle – alle für einen
Ein Pakt von Bund, Ländern und Gemeinden
Wenn ich bei meinem Großvater »im Ländle« war, nahm er mich oft bei der Hand, ging mit mir nach draußen und erzählte mir Geschichten über alles, was gerade zu sehen, zu tasten, zu riechen und zu schmecken war. Er ließ mich auch leiden: Ich griff in Brennnesseln und trank voller Pein einen entsetzlich schmeckenden Apfelsaft. Dabei erklärte er mir ungerührt die Ursache für die roten juckenden Pusteln auf meiner Haut und das Wunder der Hefe. Mein Großvater im Norden war ganz anders. Zurückhaltend wartete er, bis ich ihn etwas fragte. Er hätte fix antworten können, doch häufig verschwand er kurz und kehrte mit einem Buch zurück. Er schlug es auf und setzte mir die Sachverhalte in einer Tiefe auseinander, die mich zunächst meist nicht interessierte. Oft dauerte das richtig lange. Über die Jahre, die ich mit beiden Großvätern verbringen durfte, kam es zunehmend zu Situationen, in denen ich den einen mit dem Wissen des anderen verblüffte. Art und Abfolge der Wissensvermittlung unterschieden sich, Inhalte und Kompetenzen stimmten überein.
Ich
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