Schuld währt ewig
probiert hat, weiß ich nicht. Es heißt ja Verbindungsdaten. Es gibt nur Daten von zustandegekommenen Verbindungen. Die Hasler war schwerhörig. Vielleicht hat er versucht, sie anzurufen. Keine Ahnung.«
Mit einem Mal war Dühnfort hellwach. »Wen hat er noch angerufen?«
»Eine Susanne Möbus, wohnhaft in Paschkofen. Das ist ein Kaff hinter Poing.«
Dieser Name war bisher nicht in den Ermittlungen aufgetaucht, was in Dühnfort sofort die Sorge weckte, etwas übersehen zu haben.
»Und warum ich zu spät bin, das liegt daran.« Meo beförderte zwei weitere Ausdrucke aus seiner Tasche. »Das sind die Funkzellen, in denen sich der Täter aufgehalten hat, während er telefonierte. Die Daten habe ich erst heute Morgen bekommen. Bei Martina stand er etwa zwanzig Meter von ihrer Wohnung entfernt in der Gabelsbergerstraße. Auf dem Land sind die Funkzellen größer, deshalb kann ich nicht genau ausmachen, wo er sich befand, als er mit Susanne Möbus telefonierte. Auf alle Fälle war er ganz in der Nähe. Ich wette, er beobachtet sie. Genau, wie du vermutet hast.«
69
Fischgrätparkett, Stuckdecke, moderne Möbel. Sanne sah sich im Büro des Rechtsanwalts Vincent Becker um, während er für sie eine Tasse Kaffee holte.
Heute Morgen hatte er angerufen. Die Akte war da, er wollte ihr etwas zeigen, ob sie kommen könnte.
Angst hatte sich klamm in ihren Magen gelegt. »Was denn?«
»Das sehen Sie sich besser mit eigenen Augen an. Es ist unbeschreiblich, eigentlich ungeheuerlich. Aber kein Grund zur Sorge. Sondern das Gegenteil. Wann können Sie kommen?«
»Am liebsten sofort«, hatte Sanne geantwortet, und nun saß sie hier. Becker kehrte mit einem Becher Milchkaffee zurück und reichte ihn ihr. »Bitte.«
»Danke.« Sanne trank einen Schluck und musterte Becker. Zurückgegeltes Haar, gestreiftes Businesshemd mit gelockerter Krawatte. Am Ringfinger einen Ehering, auf dem Schreibtisch ein silbergerahmtes Bild von Frau und Tochter. Das Gegenteil von Niklas Domegall. Und auch von ihr. Jemand, der sein Leben im Griff hatte. Nun setzte Becker sich auf die andere Seite des Schreibtischs.
»Wie gesagt, die Ermittlungsakte liegt mir vor und die Aussage von Evelyn Wiedemann belastet Sie schwer. Ihr Verhältnis war wohl nicht so gut?«
»Eigentlich schon. Aber dann … Ludwig war ein hyperaktiver Junge, kaum zu bändigen, immer in Bewegung. Ich bin gut mit ihm klargekommen. Doch eines Abends hat er beim Essen derart herumgezappelt, dass er mitsamt seinem Kinderstuhl umgefallen ist. Er hatte eine Platzwunde über der Augenbraue, die genäht werden musste. Evelyn ist ausgetickt und hat mir unterstellt, ich hätte Ludwig geschlagen.«
»Aber sie hat Sie weiter als Babysitterin behalten?«
Sanne nickte. Zwei oder drei Wochen vor Ludwigs Tod war das gewesen. »Nils, ihr Mann, hat mir geglaubt. Schließlich hatte ich schon seit zwei Jahren auf Ludwig aufgepasst, und ich war immer geduldig mit ihm. Nie ist etwas passiert. Ich verstehe nicht, weshalb Evelyn mir unterstellt hat, ich hätte Ludwig geschlagen. Sie hat sich da richtig hineingesteigert.«
»Das erklärt einiges.« Becker klappte den Laptop auf, der vor ihm auf dem Schreibtisch stand. »Ich will Ihnen etwas zeigen. In der Ermittlungsakte lag eine CD . Nils Wiedemann hat sie der Polizei ausgehändigt. Daraufhin wurde das Verfahren eingestellt.«
Wieder legte sich kalte Angst in Sannes Magen. Was für eine CD denn?
Becker schob sie ins Laufwerk, drehte den Monitor so, dass Sanne ihn sehen konnte, und startete den Videoplayer.
Grobkörnige Schwarzweißbilder erschienen. Ludwigs Zimmer.
Sannes Schultern versteiften sich.
Dort stand sie, und dort war das Hochbett. Ludwig sprang auf der Matratze wie auf einem Trampolin. Sie konnte nicht hören, was er rief, denn der Film war ohne Ton. Doch niemals würde sie diese Sekunden vergessen. Ich will nicht schlafen! Ich will nicht schlafen! Ich will nicht schlafen! Das Bett wackelte. Der Lattenrost ächzte. Seine Locken flogen.
»Wer hat diese Aufnahme gemacht?«, brachte sie mühsam hervor.
»Ludwigs Mutter. Sie hat Ihnen nicht vertraut und eine Überwachungskamera auf einem Schrank installiert.«
Was? Evelyn hatte sie überwacht?
Das Band lief weiter. Sanne sah, wie sie Ludwig am Bein zog, wie er in die Kissen fiel, sah das lautlose Rufen. Noch mal! Noch mal! Noch mal! Doch er blieb erschöpft liegen. Morgen. Versprochen. Morgen toben wir. Jetzt musst du schlafen. Sie deckte ihn zu, strich ihm über das Haar.
Ihr Herz
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