Schuld währt ewig
Du guckst nach Golfplatz, ich nach Fußballplatz.«
Die Tür ging auf. Meo kam rein, den offenen Laptop haltend. »Wir haben es. Das Gewerbegebiet von Egmating.«
Gina gesellte sich zu ihnen. »Gibt es da einen Golfplatz?«
»Einen Golfplatz?« Meo stellte den Laptop ab und verkleinerte den Kartenausschnitt. »Jo! Einen Golfplatz gibt es. Street View war da noch nicht. Aber man erkennt es auch in Maps gut. Und hier grenzt das Gewerbegebiet Ost an. Wenn man das ranzoomt, erkennt man den Parkplatz, und das muss das Gebäude sein, von dem aus fotografiert wurde. Paschkofner Straße 3. Das Haus steht leer. Es soll abgerissen werden, hat jemand bei Facebook gepostet. Ich hab das schon geprüft und mit der Gemeindeverwaltung telefoniert. Stimmt.«
82
Sanne war so baff, dass es einen Augenblick dauerte, bis sie auf Ulis Worte reagieren konnte. »Du bist doch kein Krüppel«, brachte sie schließlich hervor.
»Ach? Woher willst du das wissen? Hast du dich je für mich interessiert? Hast du dich je gefragt, weshalb ich nur Hosen trage, niemals Röcke oder Kleider oder Shorts? Nie einen Badeanzug. Weißt du, wie das ist, wenn man eine Ausgestoßene ist? Keine Ahnung hast du.«
Bleib dran. Bleib am Ball. Hier kannst du Zeit gewinnen! Und vielleicht mehr.
Sanne suchte Blickkontakt und fröstelte. Verbitterung und Hass lagen in diesen Augen, wie Stahl. »Natürlich ist mir das aufgefallen. Ich dachte, du trägst gerne Hosen, und du bist nicht die Einzige, die sich nicht gerne im Bikini zeigt.«
Ein bitteres Lachen war die Antwort. »Echt. Dachtest du das?«
»Hosen stehen dir doch gut …« Meine Güte, worüber redeten sie hier eigentlich?
»Spar dir das Gesülze. Wie ein Kerl schau ich in Hosen aus. Früher habe ich nie welche getragen. Nicht mal Jeans.«
»Früher?«
»Ja. Früher! Bevor Arno mich überredet hat, auf seiner scheiß Vespa mitzufahren. Und bevor mich ein seniler Alter zum Krüppel gemacht hat.«
Arno und der Rollerunfall. Davon hatte er beim Sommerfest des KIT mal gesprochen. Uli hatte sich dabei das Bein gebrochen. Das war doch kein Drama. Obwohl … Es war ein offener Bruch gewesen.
»Da! Sieh dir das an. Dann hast du einen Grund zu kotzen!« Uli stellte den Fuß auf einen Mauervorsprung, bückte sich und zog mit der linken Hand das Hosenbein hoch.
Unwillkürlich zuckte Sanne zurück.
Wulstige Narben zogen sich über den Unterschenkel bis zum Knie. Schreckliche Narben, wie Sanne sie noch nie gesehen hatte. Ausgefranste Wülste, lila verfärbt. An einer Stelle nässend und rot entzündet.
Nach so vielen Jahren? Weshalb war das nicht verheilt? In der Tat sah das Bein entstellt aus, ekelerregend und abstoßend. Sanne wollte ein mitfühlendes Wort sagen. Doch das blieb ihr im Hals stecken, als sie bemerkte, wie Uli ihre Narben betrachtete.
Verzückt, beinahe zärtlich.
Wie ein Schlag traf Sanne die Erkenntnis, was Uli getan hatte. All die Jahre. Sie hatte dafür gesorgt, dass die Narben nie ganz verheilten, dass sie immer hässlicher wurden, immer entsetzlicher, und Arnos Schuldgefühle immer größer. So hatte sie ihn an sich gebunden. Bis er sich aus dieser Hölle von Ehe befreit hatte. Jetzt verstand sie Arnos Bemerkung vom Sommerfest, als er ziemlich angetrunken gewesen war. Das ist eine fatale Beziehung … eine Falle …
Und nach der Scheidung war Uli ganz durchgedreht.
Krank. Sie war krank. Psychisch krank.
Sie war total irre.
Panik stieg in Sanne auf, eine Welle, die sie mitriss. Nie und nimmer würde sie Uli davon abhalten können, das zu tun, was sie vorhatte. Sie aus dem Fenster zu stürzen, sobald sie oben angelangt waren. Sie musste die Notrufnummer wählen. Mit gefesselten Händen! Sie musste das schaffen … Und dann Uli in ein Gespräch verwickeln, aus dem hervorging, was hier los war und wo sie sich befand.
Wo war sie denn?
Eine lähmende Angst griff nach ihr.
Sie schüttelte sie ab. »Ich muss mal …« Langsam ging sie zur Säule, ohne Uli aus den Augen zu lassen. Die starrte noch immer auf ihr Bein, strich mit den Fingerspitzen über Wülste und Schrunden. Die Waffe in der anderen Hand.
Sanne verbarg sich nicht ganz hinter dem Pfeiler. Uli sollte nicht denken, sie wolle abhauen. Vorsichtig schob sie die Fingerspitzen in die Hosentasche. Hoffentlich dachte Uli, dass sie am Gürtel herumnestelte. Die Tasche war zu eng für beide Hände. Es gelang ihr nur, die Fingerspitzen hineinzuschieben, doch das reichte, um das Handy zu erfassen und langsam herauszuziehen. Es
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