Schuld währt ewig
überhaupt? Der Lieferwagen stand irgendwo. Kein Geholper. Kein Motorengeräusch.
Aufrichten konnte sie sich nicht. Dafür war der Wagen zu niedrig. Sanne schaffte es, sich umzudrehen und die Tür im Heck des Fahrzeugs zu ertasten.
Während ihre Finger noch über glatte Flächen glitten und eine Rille fanden, erklangen draußen Schritte. Die Wagentür wurde geöffnet. Blendendes Licht. Sanne kniff die Augen zusammen. Uli starrte sie an. In der einen Hand eine Pistole, in der anderen ein Teppichmesser. Sanne zuckte zurück.
»Bist du endlich wach. Ich dachte schon, ich hätte zu fest zugeschlagen und müsste dich die Treppen raufschleppen.«
»Uli, was soll …«
»Halt den Mund. Setz dich hin. Streck die Beine aus.« Mit einem Ruck schnitt sie das Klebeband durch, mit dem die Füße gefesselt waren. »Steig aus!«
Okay, dachte Sanne. Sie wird dich nicht erschießen. Sie will mit dir Treppen steigen. Irgendwo hoch hinauf, und dann wird sie dich hinunterstoßen. Du hast ein paar Minuten Zeit. Keine Panik. Versuch abzuhauen, wenn das irgendwie geht.
»Los! Raus mit dir!« Ulis Brauen schoben sich zusammen. An der Nasenwurzel erschien eine steile Falte. Sie würde das durchziehen. Warum nur?
Sanne stellte die Beine auf den Boden und richtete sich auf. Schwindel erfasste sie. Eine Welle Übelkeit überrollte sie. Krampfhaft erbrach sie sich. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Die Knie zitterten. Selbst wenn sich eine Gelegenheit dazu ergab, wie sollte sie in diesem Zustand davonlaufen? Bestenfalls würde ihr ein Davontorkeln gelingen.
»Und vorwärts. Da hinein.« Mit dem Kinn deutete Uli auf ein Gebäude, das wie ein Bürokomplex aussah. Wie ein verlassener Bürokomplex. Nirgendwo Anzeichen, dass hier Menschen arbeiteten. Auf dem verlassenen Parkplatz sammelte sich das Laub wirbelnd in den Ecken.
»Wenn du langsam mal die Güte hättest, deinen Arsch in Bewegung zu setzen. Diesen süßen kleinen Arsch. Den Thorsten so gerne bumsen würde und Arno sicher auch. Los jetzt!«
»Arno? Spinnst du?«
»Der fickt doch momentan alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Und jetzt halt die Klappe und tu, was ich sage. Oder denkst du, ich kann mit dem Ding nicht umgehen?«
Ehrlich gesagt ja, dachte Sanne, hütete sich aber, das auszusprechen. Wobei es mir lieber wäre, du könntest es. Wenn die Waffe nun einfach losging?
Ein Schritt nach dem anderen. Langsam und mit wackligen Knien stolperte sie auf das Haus zu. Trotzdem waren ihre Sinne geschärft. Ihr Blick scannte das Gebäude. Vier Etagen. Flachdach. Kein Mensch weit und breit. Jenseits des Parkplatzes eine Straße, dahinter eine erstaunlich grüne Wiese und ein Jägerstand. Rechter Hand ein Gebäudeflügel. Auf dem angrenzenden Areal erahnte Sanne weitere Häuser mit flachen Dächern. Sie befanden sich am Rande eines Gewerbegebietes auf einem Gelände, das vom Nachbarhaus aus nicht einzusehen war.
Uli wies auf eine zweiflügelige Tür aus Metall und Glas. »Mach auf!«
Sanne lehnte sich dagegen, die Tür schwang auf. Ein Vorraum mit Kunststeinboden. Zwei Lifte. Ein Treppenhaus mit einem Metallgeländer. Daneben saß jemand mit erhobenen Händen auf dem Boden.
Niklas!
Mit Klebeband waren seine Hände ans Geländer gefesselt, auch seine Füße waren damit umwickelt und der Mund verklebt. Sanne fuhr herum. Eine zu schnelle Bewegung. Sie war kurz davor, sich wieder zu erbrechen.
Uli lächelte und zuckte die Schultern. »Er kam dazu, als ich dich ins Auto geschleppt habe, und wollte den Helden spielen. Ziemlich dämlich. Mit dem beschäftige ich mich später. Und jetzt da rauf!« Mit der Waffe wies sie auf die Treppe.
Niklas’ Augen funkelten zornig. Er zerrte an den Fesseln. Doch es gelang ihm nicht, sie zu lösen. Wütendes Gebrumm klang unter dem Klebeband hervor.
»Niklas. Es tut mir leid …« Ein Stoß in die Rippen ließ sie aufstöhnen.
»Halt die Klappe! Weiter geht es.«
Während Sanne Stufe um Stufe nach oben stieg, suchte sie fieberhaft nach einer Idee.
Sie musste versuchen, Zeit zu gewinnen! Doch was würde ihr das nützen? Niemand wusste, wo sie war. Die Polizei hielt Arno für den Täter. Ihn hatten sie verhaftet. Nicht Uli! Sie hatten Hartung und seine Leute abgezogen. Niemand würde nach ihr suchen. Oder nach Uli.
Niklas! Was würde Uli tun? Ihn doch nicht erschießen!
Doch, genau das wird sie tun. Sie hat Jens und Martina getötet. Sie schreckt vor nichts zurück.
Sie brauchte eine Idee.
Das Handy. Es steckte in der
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