Schuld währt ewig
war nicht eingeschaltet. Mist! Mist! Mist! Ihre Finger ertasteten den Einschaltknopf. Sie drückte ihn. Das Gerät rutschte ihr aus der Hand und fiel scheppernd auf den Boden.
Uli fuhr herum. »Was hast du da?« Sie entdeckte das Handy. Mit der flachen Hand schlug sie Sanne ins Gesicht. Ein Schmerz wie Feuer.
»Drecksfotze!« Knirschend zerbrachen Glas und Kunststoff unter den Sohlen der Stiefel. »Du hältst mich wohl für blöd. Wie alle. Du unterschätzt mich. Wie alle! Ein dummer Fehler. Ein ganz dummer Fehler.«
83
Dühnfort kuppelte aus und ließ den Wagen leise ausrollen. Ja. Das war es. Er erkannte die Schranke, die nun geöffnet war, den Müllcontainer, den Parkplatz. Ein grauer Lieferwagen stand in der Nähe des Eingangs. Google Maps sei Dank und Alois, für seine glorreiche Idee, die sozialen Netzwerke zu nutzen.
Niemand war zu sehen. Keine Bewegung. Kein Laut, außer dem gleichmäßigen Streichen des Windes durch die kahlen Äste.
Dühnfort nahm seine Dienstwaffe aus dem Holster und entsicherte sie. Im Schutz der Büsche, die ihm lediglich einen Hauch von Deckung gaben, näherte er sich dem Fahrzeug. Die Tür am Heck war nur angelehnt. Er spähte hinein und entdeckte Blut auf dem grauen Velours des Innenraums. Reste von Klebeband lagen auf dem Asphalt. Keine Frage, hier war er richtig.
Die wenigen Schritte bis zum Zugang des Hauses legte er in geducktem Laufschritt zurück, spähte durch das Glas und entdeckte niemanden. Einen Moment überlegte er, ob er das Eintreffen des angeforderten SEK abwarten sollte. Doch es ging um jede Minute. Lautlos schob er die Tür auf und trat ein. Stille. Kälte. Der Geruch nach feuchtem Putz. Ein Vorplatz. Eine Bewegung. Ein Mann saß neben der Treppe. Susanne Möbus’ Nachbar. Seine Hände waren an das Geländer gefesselt. Er rüttelte daran. Dumpfe Töne klangen aus dem verklebten Mund. Dühnfort ging vor ihm in die Hocke, zog das Klebeband vom Mund und flüsterte: »Wo sind die beiden?«
»Oben. Sie sind raufgegangen. Sie ist bewaffnet. Ich wollte Sanne helfen …«
Dühnfort löste die Handfessel. »Den Rest schaffen Sie allein, und dann gehen Sie hier raus. Immer an der Hauswand entlang und durch das Gebüsch aufs Nachbargrundstück. Und versuchen Sie nicht, den Helden zu spielen.«
Im Haus war es weiterhin still. Dühnfort zog das Handy aus der Tasche, wählte die Nummer der Einsatzzentrale und forderte mit noch immer gesenkter Stimme bei Berentz einen Löschzug und Notarzt an. Für alle Fälle. »Kein Blaulicht, kein Signalhorn. Sie sollen auf dem Nachbargrundstück auf ihren Einsatz warten und das Sprungtuch vorbereiten. Wo bleibt das SEK ?«
»Erreicht in sechs Minuten den Einsatzort«, sagte Berentz.
Der Nachbar hatte seine Fußfessel gelöst und stand auf. Ein Kerl von einem Mann, der Dühnfort überragte. Dunkle Haare bis über die Schultern. Holzfällerhemd. Zögernd blieb er stehen und sah die Treppe hinauf.
»Vergessen Sie es. Wir machen das. Sie verschwinden jetzt hier, und zwar genau so, wie ich es Ihnen gesagt habe.«
Ein Geräusch von oben, weit entfernt, wie sandiges Quietschen, gefolgt von einem metallischen Schlag. Eine Tür war ins Schloss gefallen. Eine Tür aus Metall. Das Flachdach. Sie waren auf dem Dach!
84
Die Tür fiel donnernd hinter ihnen ins Schloss. Sie standen auf dem Dach. Eine graue Wolkenschicht hing tief über der Landschaft. Der Wind griff nach Sannes Haaren, wehte sie ihr ins Gesicht. Kälte drang durch den dünnen Pullover. Sie begann zu zittern. Ob vor Angst oder Kälte wusste sie nicht. Es machte auch keinen Unterschied.
Unter ihr der verlassene Parkplatz, Ulis Wagen, der umgefallene Müllcontainer. Jenseits der Straße das grüne Areal eines Golfplatzes. Hier oben hatte Uli die Aufnahme gemacht. Sie hatte das alles lange geplant.
Würden dies die letzten Bilder sein, die sie sah?
Angst setzte sich hinter das Brustbein wie ein kalter Stein.
Würde Uli sie stoßen oder zwingen, selbst zu springen?
Ein Ziehen in Oberschenkeln und Kniekehlen.
Nein. Selbst springen würde sie nicht. Uli musste sie schon runterschubsen oder erschießen. Erschießen war aber ganz sicher nicht das, was Uli plante.
Sie will, dass ich so sterbe wie Ludwig. Durch einen Sturz. Sie will das nicht selbst tun.
»Hier lang!« Uli wies auf mehrere Container aus grauem Metall, die am Rande des Daches standen. Klimaanlage? Lüftung? Was zerbrach sie sich den Kopf. Es war egal.
Sanne konnte sich nicht bewegen. Ihre Beine versagten. Ihr
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