Schuld war nur die Badewanne
die Mütter waren »kriegsdienstverpflichtet«, und es war damals völlig normal, dass die Aufzucht des Nachwuchses häufig Großeltern oder anderen, meist älteren Verwandten überlassen blieb.
Im Gegensatz zu meiner eigenen, die mich streng preußisch erzog, war Dagis Großmutter eine richtige Bilderbuch-Oma: klein und rund mit Knoten im Nacken und geblümter Schürze vorm Bauch, gutmütig, nachgiebig und ihrer temperamentvollen Enkelin hoffnungslos unterlegen. Außerdem gab es da noch Tante Idchen. Die war noch ein bisschen kleiner als Oma Emma und noch ein bisschen toleranter.
Platzte Emma tatsächlich mal der Kragen und sie verhängte über Dagi eine drakonische Strafe, die in der Regel aus ein paar Stunden Stubenarrest bestand, dann versüßte Tante Idchen dem bedauernswerten Kind die Haft mit Bonbons und sicherte ihm für den nächsten Tag einen Kinobesuch zu.
Dabei war Dagi wirklich ein ausgemachtes Ekel! Statt sich wie ein normales Kind fair zu prügeln, kratzte, biss und spuckte sie, brüllte wie am Spieß, wenn sie nicht das bekam, was sie gerade wollte, und stand mal wieder ihr Besuch in Aussicht, dann räumte Omi vorsichtshalber alles Zerbrechliche weg. Seitdem Dagi ihre große Kristallschale zertrümmert hatte, weil sie unbedingt die darin aufbewahrten Rosenblätter essen wollte, hasste Omi dieses »unerzogene Scheusal« beinahe so sehr wie ich.
Als wir von Berlin nach Düsseldorf übersiedelten, verlor ich Dagi aus den Augen. Ich erfuhr zwar, dass sie sehr früh geheiratet und nach anderthalb Jahren Sohn Harry in die Welt gesetzt hatte, nur war der Mann ihrer Träume wohl doch nicht das gewesen, was sie erwartet hatte. Also Scheidung und einige Jahre danach ein neuer Versuch. Diesmal war es ein Arzt, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte. Nach der Hochzeit entpuppte er sich als Säufer, worauf Dagi erneut ihren Anwalt bemühte und seitdem kaum noch Alkohol trinkt.
Über den Weg gelaufen sind wir uns erst wieder, als ich während einer Berlinreise ihre Mutter besuchte und Dagi unverhofft in der Tür stand. Aus dem widerlichen Kind war eine selbstbewusste, blendend aussehende Frau geworden, die ihr Leben fest im Griff hatte. Wir verstanden uns auf Anhieb und sehen uns jetzt, sooft sich eine Möglichkeit ergibt. Unsere regelmäßigen und nicht eben kurzen Telefonate sind Rolf seit Jahren ein Dorn im Auge. »Meinst du nicht, es wird billiger, wenn Dagmar mal wieder herkommt?«
Geheiratet hat sie nicht mehr, doch es gibt Victor. Victor ist ein Workaholic mit viel Geld und wenig Zeit. Als er Dagi damals einen Antrag machte, hatte sie ihm einen Korb gegeben; Jahre später hätte sie ihn ganz gern genommen, aber nun wollte er nicht mehr – jedenfalls nicht amtlich mit Brief und Siegel. Trotzdem kommt einer ohne den anderen nicht klar, und so leben die beiden seit ewigen Zeiten miteinander oder auch nebeneinander, je nachdem, ob es mal wieder Krach gegeben hat oder das Barometer auf Sonnenschein steht.
Victor hat mit Immobilien zu tun, und dank dieser Tatsache besitzt Dagi eine kleine Wohnung in einer ruhigen Ecke von Schöneberg mit viel Grün drum herum und recht honorigen Nachbarn. Ich war allerdings noch nie dort gewesen, doch das ließe sich ja ändern. Schließlich brauchte ich ein Nachtquartier.
Dagi war sofort einverstanden.
»Na klar könnt ihr kommen! Gemeinsam werden wir es schon schaffen, diese verdammte Ausziehcouch zum letzten Mal in ein Doppelbett zu verwandeln. Die klemmt nämlich und fliegt bei der nächsten Sperrmüll-Abfuhr raus. Bloß wenn ich jetzt eine neue kaufe, weiß ich nicht, wohin mit der anderen. Der Keller ist voll.«
»Ist das etwa immer noch das alte Ding von Oma Emmchen?«
»Aber sicher! Ist ja schließlich Vorkriegsware und noch gute deutsche Wertarbeit. Deshalb habe ich auch schon mal versucht, das Möbel einem Bekannten als Antiquität unterzujubeln und vorher ein paar Holzwurmlöcher reingebohrt. Sah auch richtig echt aus, hat aber leider nur beinahe geklappt.«
Berlin ist bekanntlich eine Reise wert – man muss bloß erst mal hinkommen! Wohnt man im südwestlichen Zipfel der Bundesrepublik, dann muss man halbschräg durch dreiviertel Deutschland. Eine passende Autobahn quer durch gibt es jedoch nicht, also fährt man ca. zweihundert Kilometer Umwege. Steffi hatte sich für die südliche Route entschieden, da sei weniger Verkehr. Das war der erste Irrtum!
Der zweite stellte sich heraus, als wir die frühere Grenze passiert hatten und einsehen
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