Schuld war nur die Badewanne
war einstimmig dagegen. Von Sibirien war die Rede und von »die Ossis gucken doch jetzt abends lieber RTL und SAT , statt sich was vorlesen zu lassen. Bücher haben die auch früher schon gehabt!« Die zum Teil absurden Argumente, weshalb ich mich auf diese Reise nicht einlassen sollte, gipfelten schließlich in Svens Meinung, wonach sowieso kein Mensch zu einem Leseabend kommen würde. »Die sorgen sich um Betriebsschließungen, um Arbeitslosigkeit, um Mieterhöhungen – da hat doch keiner Sinn für deine Familienstorys. Hätte ich auch nicht, wenn ich nicht wüsste, wovon ich im nächsten Monat meine Kinder ernähren soll.« Dabei hat er gar keine!
Irgendwann hatte Rolf die Nase voll. »Jetzt lass dir erst mal genaue Informationen schicken, wie die in Frankfurt sich die Sache vorstellen, und dann kannst du immer noch einen Rückzieher machen.«
Doch das hatte ich schon nicht mehr vor.
Frau Wagner antwortete postwendend. Dass ich für die Lesungen kein Honorar nehmen würde, überraschte sie gar nicht (also doch Arbeitseinsatz??!), die Fahrtkosten würde man selbstverständlich erstatten, um Unterkünfte würde man sich kümmern, auch wenn das manchmal etwas schwierig wäre, und anliegend eine Liste jener Büchereien, die auf meinen Besuch warteten. PS .: Ob ich gegebenenfalls auch mit einem Privatquartier einverstanden sei?
Karte her! In weiser Voraussicht hatte ich mir inzwischen selbst eine besorgt. Die erste Station meiner Reise sollte Templin sein, nördlich von Berlin gelegen und mitten in der Uckermark. Die kannte ich noch nicht. Dann würde es weitergehen nach Prenzlau, von dort nach Gramzow (nie gehört!), anschließend nach Eberswalde und zum Schluss nach Wandlitz. Dass es sich bei diesen Angaben nur um die jeweiligen Übernachtungen handelte und ich später in Dörfern landete, die ich nur mit Hilfe von Ortskundigen fand, ahnte ich damals noch nicht. Frau Wagner fand übrigens, dass der Mai doch ein herrlicher Monat für solch eine Reise sei, die Mark Brandenburg präsentiere sich gerade dann in ihrer ganzen Schönheit, und ob ich mich mit diesem Termin anfreunden könne?
Was Fauna und Flora anbelangt, so mag ich den Mai auch am liebsten, doch erfahrungsgemäß wird um diese Jahreszeit auch in Wald und Flur geackert, von den heimischen Gemüsegärten ganz zu schweigen. Wer aber acht Stunden und länger Rüben gehackt oder Unkraut gezupft hat, der dürfte für eine abendliche Dichterlesung, zu der man sich notgedrungen auch noch umziehen muss, wenig Begeisterung zeigen. Aber vielleicht war das in den Neubuläs ja ganz anders! Ausgehungert nach westlicher Literatur – schließlich hatte man den armen DDRlern jahrzehntelang nur politischen oder linientreuen Lesestoff verordnet –, würden die Zuhörer in Scharen kommen, dankbar, dass sich sogar jemand in die tiefste Provinz vorwagt. Hatte ich gedacht.
Ungefähr vier Wochen vor Beginn der Reise eröffnete mir Steffi, dass der unter Ausschluss eines Stimmberechtigten tagende Familienrat beschlossen habe, mich nicht allein fahren zu lassen. »Erstens wirst du den halben Tag auf Landstraßen verbringen, weil du selten auf Anhieb dort landest, wohin du willst, und zweitens kriegst du ja Depressionen, wenn du vierzehn Tage lang mutterseelenallein durch die Pampa driftest.«
Davor hatte ich auch schon einen Bammel gehabt, aber das sagte ich natürlich nicht. Im Gegenteil, ich protestierte sofort. »Ich brauche keinen Babysitter! Und überhaupt – wer von euch würde denn freiwillig mitkommen wollen?«
»Na ja, das ist ein bisschen schwierig«, gab Steffi zu, »ich habe nämlich nur eine Woche Urlaub gekriegt, und die Zwillinge stecken mitten im Prüfungsstress.«
Das war nun wieder maßlos übertrieben. Es stimmte zwar, dass im Oktober das erste Staatsexamen beginnen würde, doch von Stress war den beiden nichts anzumerken. Hin und wieder erwähnten sie zwar mal die Zulassungsarbeiten, deren Fertigstellung in erster Linie im Nachschlagen pädagogischer Werke und dem Zitieren ihrer Verfasser bestand (Kommentar Katja: »Das Wichtigste sind die Quellenangaben. Je länger später der Abspann ist, desto größer die Überzeugung der Prüfungskommission, dass du diese ganzen Wälzer auch tatsächlich gelesen hast!«) – aber von rauchenden Köpfen und durchgeistigter Stubenhockerblässe hatte ich bei den Mädchen noch nichts bemerkt.
»Ja, also wir hatten uns das so gedacht«, nahm Steffi den Faden wieder auf, »in der ersten Woche fahre ich mit und
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