Schuld war nur die Badewanne
noch einen Gebrauchtwagen abzahlt, der bereits wenige Monate nach dem Ankauf seinen Geist aufgegeben hatte. »Ick hab ja erst viel später rausjekriegt, det meine Kollegen fast doppelt so viel verdient haben wie ich, dabei hatte ick drei Jahre studiert und die nich! Aber mit so ’ner doofen Nuss wie mir, die keene Ahnung hatte von Tarifgehalt und Überstundenzuschlag, konnten se det ja machen!«
Schon wieder jemand, der für uns Wessis eigentlich keinen Funken Sympathie mehr haben dürfte. Als hätte sie gespürt, was mir gerade durch den Kopf ging, winkte Edeltraud ab. »Ick habe aber ooch andere Menschen jefunden da drüben. Ohne die hätte ick mir wahrscheinlich doch ’n Strick jenommen, aber die haben mir jeholfen. Ja, auch mit Geld, aber zuallererst mit Freundschaft, und die ist viel wichtiger gewesen.« Plötzlich sprach sie hochdeutsch, und das klang viel zu ernst.
Nicki schien es auch nicht zu gefallen. Bisher hatte sie schweigend zugehört, jetzt wechselte sie schnell das Thema. »Wie haben Sie eigentlich den Tag erlebt, als in Berlin die Mauer geöffnet wurde? Wir haben zu Hause bloß vor dem Fernseher gehangen, aber Sie waren doch viel näher dran! Sind Sie hingefahren?«
Frau Schmitt brach in lautes Gelächter aus. »Ob Sie’s glauben oder nicht – ich habe auf meinem Bett gelegen und geheult.«
»Kann ich gut verstehen«, sagte Nicki mitfühlend.
»Det jloobe ick nich«, widersprach Edeltraud immer noch lachend, »weil ick nämlich vor lauter Enttäuschung jeheult habe.«
»Das müssen Sie mal erklären!«
»Eijentlich jibt et jar nich so viel zu erklären! Ick bin ja vorher noch nie im Westen jewesen. Wenn man drüben keene Verwandtschaft hatte, wo mal ’n Opa siebzig jeworden oder ’ne Tante jestorben is, denn hatte man ja keene Chance rüberzukommen. Kusinen haben nich jejolten, det waren bloß Verwandte zweiten Grades. Nu habe ick aber nur ’ne Kusine in Westdeutschland, in Köln. Die wollte im November heiraten, hat mich ooch einjeladen, und ick hab mal wieder ’n Antrag für ’ne Besuchserlaubnis jestellt. Die wievielte, weeß ick nich mehr, sie sind immer alle abjelehnt worden. Aba diesmal nich! Keene Ahnung, warum, jedenfalls habe ick Bescheid jekriegt, det ick am 10 . November fahren kann. Irjendwie hab ick det überhaupt nich glauben können! Wenn man jahrelang auf so wat wartet, und plötzlich isset da … Mein Koffer war schon jepackt, die Fahrkarte hatte ick jrade jeholt, und wie ick vom Bahnhof zurückkomme, brüllt mir unser Nachbar auf der Straße zu, det die Mauer auf is und er jetzt nach Berlin fährt. Ick hab natürlich sofort Radio und Fernsehen einjeschaltet – na ja, und denn hab ick jesehen, wat los war. Und wissen Sie, wat mein erster Jedanke jewesen ist? Scheiße, jetzt können die anderen ja ooch alle rüber!«
Noch lange haben wir zusammengesessen, bevor wir Frau Schmitt nach Hause brachten, und selbst dann dauerte es noch eine Weile, bis wir uns verabschiedet hatten. Jedenfalls kann ich nur hoffen, dass sie uns in genauso guter Erinnerung behalten hat wie wir sie.
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Zwischen Frankfurt/Oder und Berlin
W enn man schon mal in Eberswalde ist, dann hat man auch das Schiffshebewerk zu besichtigen. Immerhin gibt es viele Leute, die kilometerlange Umwege in Kauf nehmen, nur um sich dieses Wunderwerk ansehen zu können. Das zumindest hatte Frau Flöß behauptet, und wahrscheinlich stimmt es auch, aber mich reizt so etwas überhaupt nicht. Mit Technik habe ich nun mal nichts am Hut! Nicht umsonst hatte ich in Physik immer eine Vier gehabt; ich glaube, das letzte, was ich noch begriffen habe, ist die Sache mit den kommunizierenden Röhren gewesen, und die kommen schon im ersten Jahr dran.
Offenbar habe ich diese Begriffsstutzigkeit weitervererbt, ich brauchte mir ja nur Nickis Gesicht anzusehen. Scheinbar interessiert hörte sie zu, was Frau Flöß zu erzählen wusste, aber die wohnt ja auch quasi in Rufweite von dem Bauwerk und musste zumindest die wichtigsten Daten herunterleiern können.
Es kann nämlich peinlich werden, wenn man so etwas nicht weiß. Als wir seinerzeit in Stuttgart wohnten, wollten alle Besucher auf den Fernsehturm, denn damals gab es noch nicht so viele, und der Stuttgarter Spargel war noch relativ neu. Die erste Frage lautete denn auch immer: »Wie hoch ist das Ding eigentlich?« Ich konnte sie nie beantworten! Nach erfolgter Besichtigung wurde ich jedes Mal genau informiert, doch weshalb sollte ich mir eine Zahl merken, die mich
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