Schuld war nur die Badewanne
noch nicht weggelassen, es hatte ja noch so viele Fragen.
Ich hatte es erst gar nicht versucht, Frau Schmitt war es nicht gelungen, und erst die gepflegte Dame im Spitzenkleid schaffte es, meine Tochter an die inzwischen fertig gedeckte Kaffeetafel zu holen. Plötzlich fand sie sich am unteren Ende des Tisches zwischen lauter netten Omas wieder, die alles Mögliche von ihr wissen wollten. Ob die zarte Röte auf ihren Wangen Verlegenheit war oder doch bloß von der Sonne stammte, kann ich nicht sagen, aber eines weiß ich ganz genau: Es war 18.58 Uhr, als wir wieder im Auto saßen und die letzte winkende Hand endlich aus unserem Blickfeld verschwunden war.
Zu den ersten Importen, mit denen die Wessis ihre Brüder und Schwestern in Ossiland beglückten, gehörte außer den Autos auch die Rush-hour. Ihr hatten wir es zu verdanken, dass wir anderthalb Stunden für die Rückfahrt brauchten. Danach waren wir alle genervt, und außerdem hatten wir trotz Frankfurter Kranz und Apfelkuchen mit Sahne Appetit auf etwas Handfestes. »Wo kann man denn hier nicht nur gut essen, sondern auch halbwegs gemütlich sitzen?«, wollte ich von Frau Schmitt wissen.
»Beides zusammen is noch nich!«, sagte sie sofort. »Entweder Ratskeller, wenn der Koch nich inzwischen nach’n Westen is, oder in den Alten Krug. Der is auf Altdeutsch jetrimmt, aba da weeß ick nich, wie det Essen schmeckt.«
Ich entschied mich für den Ratskeller, das klang so schön solide. Erst nach längerem Überreden nahm Frau Schmitt die Einladung an. »Det is mir nu jar nich recht. Umjekehrt wird ’n Schuh draus! Eijentlich müsste ick Sie einladen oda vielmehr die Bücherei, bloß wenn ick Frau Schiller die Rechnung präsentiere, flippt die aus. Für so wat is doch keen Jeld da!«
Sie ließ sich überzeugen, dass meine Reisekasse ein zusätzliches Abendessen noch verkraften würde, griff zur Speisekarte und – fing sofort zu räsonieren an. »Die sieht ja noch jenauso aus wie vor drei Jahren! Schnitzel mit Pommes und Krautsalat! Und woraus besteht der? Aus Rotkohl und Weißkohl! Kohlköppe hat’s in unseren HO -Läden immer jejeben, nu könn’ wir se nich mehr sehn. Ham die denn hier inne Küche noch nischt von Koppsalat, Radicchio und Frisee jehört? Vielleicht sollte ihnen mal eener sagen, det man diese Sachen jetzt ooch bei uns koofen kann!« Nachdrücklich schüttelte sie den Kopf. »Da reden die immer alle von Touristen herkriegen wollen und Naherholungsziel, und wenn denn wirklich mal welche herkommen, denn setzen se denen Kohlsalat vor!«
Ihre nicht gerade im Flüsterton vorgebrachte Beschwerde hatte Aufmerksamkeit erregt. Ein verstört aussehender Kellner näherte sich, doch offenbar war ihm nicht ganz klar, wie er uns einzuschätzen hatte. Großmäulige Wessis kannte er bestimmt, nur beschwerten die sich meistens erst
nach
dem Essen und nicht schon vorher. Frau Schmitt stellte die Sache auch gleich richtig. »Damit hier keen falscher Verdacht aufkommt:
Ick
bin diejenige, die meckert, und ick hab hier schon jejessen, als wir noch draußen vor der Tür warten mussten, bis der Herr Ober jeruhte, uns rinzulassen! Damals sind wir ja froh jewesen, wenn wir durften, aba nu können wir ooch woanders hinjehen, det habt ihr bloß noch nich bejriffen. Krautsalat!!! Habt ihr wirklich nischt anderet?«
Zustimmendes, wenn auch schweigendes Nicken einiger anderer Gäste, sodann Anmarsch einer offensichtlich höheren Charge. Selbstverständlich habe man noch andere Salatsorten, nur würde Krautsalat immer wieder gern gewählt, und wie es denn mit Gemüse sei? Der Blumenkohl sei zu empfehlen, man könne jedoch auch Brokkoli und grüne Erbsen offerieren. Wir entschieden uns schließlich für Schweinebraten mit Kroketten und Salat. Ohne Kraut!
Was uns nach angemessener Wartezeit serviert wurde, schmeckte gut und hätte bestimmt noch besser geschmeckt, wenn die Kroketten nicht im Salatdressing geschwommen wären; dafür waren die Endivienblätter eine innige Verbindung mit der Sahnesoße eingegangen. Kurz gesagt: Man hatte alles auf einen Teller gehäuft getreu den drei Hemmschuhen des Fortschritts: Das haben wir schon immer so gemacht, das haben wir noch nie so gemacht, da könnte ja jeder kommen …
Während des Essens erzählte Edeltraut ein bisschen von dem, was sie seit dem Fall der Mauer erlebt und wie sie in Westdeutschland zwar gleich einen Job gefunden hatte, von ihrem Arbeitgeber jedoch jämmerlich über den Tisch gezogen worden war, und immer
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