Schuld war nur die Badewanne
Teehauses zu werfen (ging nicht), und hatten die römischen (oder griechischen?) Bäder besichtigt einschließlich der griechischen (oder römischen?) Statuen, ausnahmslos und deutlich erkennbar männlichen Geschlechts. Unter einem blühenden Gewächs hatten wir schließlich eine Bank entdeckt, uns darauf niedergelassen, zweimal »cheesecake« in Nickis Kamera gelächelt, und nun warteten wir auf den Beginn der nächsten Führung durch das Schloss. Präzise ausgedrückt warteten nur Nicki und Victor, denn Dagi hatte (angeblich!) neue Schuhe an und (wieder angeblich!) zwei Blasen am Fuß, und ich war nun wirklich schon oft genug durch dieses Gemäuer gezogen. Wenn wir nämlich früher Logierbesuch »von außerhalb« bekamen, meistens entfernte Verwandte aus den entlegendsten Ecken Niedersachsens, dann musste ihnen natürlich etwas geboten werden. Statt sie nun in den
Wintergarten
einzuladen oder mit ihnen auf den Funkturm zu fahren, schleppte Omi sie erst mal nach Potsdam. Sie war nämlich eine glühende Anhängerin der Monarchie und hat bis zum letzten Atemzug gehofft, dass Louis Ferdinand doch noch mal den deutschen Kaiserthron besteigen würde. Immerhin stand der ihm ja zu!
Nur in Potsdam spürte man nach Omis Ansicht noch einen Rest von Preußens Gloria, und da Tante Lotte und Onkel Fritz sowie Cousine Hildchen in ihren Jugendjahren auch noch Wilhelm zwo zugejubelt hatten, waren sie mit Omis Vergnügungsprogramm immer einverstanden gewesen. Potsdam kann man sowieso nicht an einem Tag besichtigen, wenn man gründlich sein will, und Omi war sehr gründlich! Deshalb kannte ich das Schloss und die Orangerie und das Neue Palais und und und … – nur die Bäder hatte ich vorher nie gesehen! Ich kann mir nicht vorstellen, dass Omi von König Friedrichs Abneigung gegen Frauen etwas gewusst hat (und selbst wenn, dann hätte sie es nicht geglaubt), denn die Verbannung der Frau Königin aus ihres Gatten Nähe begründete sie immer damit, dass er ja häufig unterwegs gewesen sei, schon wegen der vielen Kriegsschauplätze, und so ganz allein bloß mit der Dienerschaft wären die normalen Schlösser für die arme Königin doch viel zu groß gewesen.
Wie sich Omi die zahlreichen nackten Jünglinge – nur aus Marmor, aber immerhin! – im Badehaus erklärt hat, weiß ich nicht, vermutlich gar nicht. Statuen waren Kunst, und Kunst ist geschlechtslos. Bei uns hatte ja auch so ein Nackerter herumgestanden, eine Bronzenachbildung des berühmten Diskuswerfers, der allen Bemühungen meiner Mutter, dieses Ding versehentlich kaputtzukriegen, widerstanden hatte. Jetzt thront er wahrscheinlich auf einem Kaminsims irgendwo in Minnesota, denn ein amerikanischer Kunstliebhaber hatte ihn gleich nach dem Krieg für eine Stange Chesterfield mitnehmen dürfen.
Victor mahnte zum Aufbruch. In zehn Minuten fange die Führung an. »Schön für euch!«, meinte Dagi bloß. »Ich bleibe hier sitzen.«
»Ich auch«, sagte ich, allerdings mit gemischten Gefühlen. Das offensichtliche Interesse, mit dem Nicole Victors Erläuterungen folgte, schien ihm zu gefallen. Zugegeben, er wusste eine Menge über Potsdam und konnte sein Wissen auch geschickt an den Mann (die Frau!) bringen, doch ich hätte es als wesentlich normaler empfunden, wenn er mit gelangweilter Miene hinter uns hergestapft wäre. So kannte ich ihn zumindest. Immerhin hatte ihn Dagi zu diesem Ausflug regelrecht verdonnert, freiwillig wäre er doch nie mitgekommen!
»Stewardess ist sie zwar nicht, aber lange Beine hat Nicki auch. Besteht eventuell die Möglichkeit, dass dein Victor die Altersgrenze für seine Spielkameradinnen etwas heruntersetzen wird?«
Ich muss wohl ziemlich besorgt ausgesehen haben, denn Dagi lachte laut los. »Hast du etwa Angst um deine Tochter? Brauchst du nicht, die wäre ihm viel zu anstrengend. Victor ist wie ein Terrier, der den Autos hinterherrennt. Er will sie ja gar nicht fangen – er will sie nur ein bisschen anbellen.«
Lange brauchten wir auf die beiden nicht zu warten. »Da sind ja nur ein paar Säle freigegeben, in die anderen kommt man gar nicht rein«, beschwerte sich Nicole, »die werden angeblich renoviert. Man sieht bloß olle Stühle, an den Decken ein bisschen Stuck mit Gold, an den Wänden ab und zu mal ’n Bild – das war’s dann auch schon. Können wir jetzt nicht lieber nach Potsdam reinfahren? Victor hat mir so viel von dem Holländischen Viertel erzählt, davon habe ich gar nichts gewusst.«
Ich auch nicht, aber das sagte ich
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