Schuldig wer vergisst
es gebe keinen Freund, dieser Jack existiere nur in Alex’ Fantasie...
»In der Betreffzeile steht ›GET 2GETHER‹. To-gether, fällt der Groschen?« Er klickte die Nachricht an.
»Ach, du meine Güte«, sagte Danny und las laut vor, indem er den Jargon übersetzte. »Hey, Sasha! Ich will dich sehen! Treffen wir uns? Heute Abend, okay? Paddington Station unter der Uhr. Ich bin um fünf da! Zieh was Rotes an. Ich auch. Umarmung und Küsschen, Jack.«
»Oh, mein Gott«, stöhnte Neville und fügte vorsichtshalber aus seiner grauen Vergangenheit noch ein »Jesses, Maria und Josef« hinzu.
»Nein«, sagte Danny grinsend. »Jack.«
ACHTZEHN
King’s Cross – endlich!
Alex war wirklich stolz auf sich, als sie aus der U-Bahn stieg. Sie hatte es geschafft! Irgendwie hatte sie das Gefühl, als wäre sie damit schon halb in Schottland.
Der Bahnhof von King’s Cross kam ihr vor wie eine riesige Höhle. Offenbar flüchteten an diesem Tag viele Menschen aus London. Sie sah eine Menge Leute, die Koffer hinter sich herzogen oder Rucksäcke geschultert hatten. Fuhren sie schon jetzt über Weihnachten heim?
Genau das, dachte Alex mit einem plötzlichen Freudenschauer, mache ich auch. Ich fahre zu Weihnachten nach Hause. Sie würde ihre Mutter finden, und sie wären endlich wieder zusammen. Zu Weihnachten und für immer. Zusammen in Schottland. Daheim!
Sie musste sich am Fahrkartenautomaten anstellen, und als sie schließlich an der Reihe war und alle richtigen Knöpfe gedrückt hatte – Kind, Einzelperson, Edinburgh -, war sie bestürzt. Die Fahrt kostete über sechsundvierzig Pfund, und sie hatte noch nicht einmal mehr vierzig in der Tasche.
Wäre sie nicht unter solchen Mühen schon so weit gekommen, hätte sie vielleicht an diesem Punkt die Segel gestrichen.
Doch ihre Mutter wartete auf sie. Sie sehnte sich genauso nach ihr, wie sich Alex umgekehrt nichts so sehr wünschte
wie ein Wiedersehen. Sie kämpfte gegen die Tränen der Enttäuschung an. Aber sie würde nicht aufgeben. Sie konnte es nicht. Jetzt nicht mehr. Sie verließ den Fahrkartenautomaten und lief in Richtung der Bahnsteige, um zu sehen, ob es dort dieselben Schranken gab wie bei der U-Bahn, wo man erst das Ticket in den Schlitz stecken musste, bevor man durchlaufen konnte.
Doch das, stellte sie fest, war hier nicht der Fall. Auf den Bahnsteigen wurden die Fahrkarten von Hand geprüft, und zwar von ein, zwei ziemlich laxen Kontrolleuren. Schilder warnten streng, ohne gültigen Fahrschein zu reisen sei ein Straftatbestand und werde mit hohen Bußgeldern geahndet; außerdem würden die Tickets im Zug überprüft.
Nun denn, sie musste es einfach riskieren.
Alex lief weiter, bis sie den nächsten Zug nach Edinburgh fand, der in etwa einer Viertelstunde losfahren sollte. Sie blieb dicht am Eingang stehen und beobachtete das Geschehen.
Eine große Familie kam auf den Bahnsteig zu: Vater, Mutter und eine Schar aus drei oder vier Kindern. Alex hielt sich dicht an die Gruppe; der Vater wedelte vor dem Kontrolleur mit einem Bündel Fahrkarten, und der Beamte winkte sie alle durch. Alex hängte sich wie selbstverständlich an die Familie und war im Nu auf dem Bahnsteig. So weit, so gut.
Sie folgte ihnen auch, für den Fall, dass sie jemand beobachtete, in den Waggon. Dort entdeckte sie, dass die meisten Sitze in den Kopfstützen kleine, gedruckte Schildchen hatten, die anzeigten, dass sie für bestimmte Leute reserviert waren. Die Familie hatte offenbar zwei gegenüberliegende Reihen mit einem Tisch dazwischen gebucht. Während sie ihr Gepäck verstauten und es sich auf ihren Sitzen bequem machten, ging Alex die Reservierungskärtchen durch. Sie bezogen sich jeweils auf unterschiedliche Reiseabschnitte –
einige galten bis nach Edinburgh, andere nur bis Peterborough oder York oder bis zu irgendeiner anderen Station. Alex fand in der Reihe hinter der Familie zwei Sitze mit einer Reservierung von Doncaster nach Edinburgh. Sie rutschte zum Fenstersitz durch; das würde für ein Stück der Reise funktionieren. Kurz bevor sie Doncaster erreichten, würde sie sich etwas anderes suchen.
Neville holte tief Luft. »Es gibt, nehme ich an, noch mehr E-Mails von diesem Jack?«
»Und ob, eine Menge.« Danny zeigte auf die Liste im Posteingang und dann auf einen Ordner mit der Aufschrift Jack . »Er scheint sogar der Einzige zu sein, mit dem sie sich schreibt, außer einer gewissen Kirsty.«
»Ihre beste Freundin in Schottland.« Die müssten eigentlich ziemlich
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