Schuldig wer vergisst
bisschen Ablenkung zu verschaffen.
Natürlich konnte sie Morag nicht daran hindern, immer wieder auf das Thema zurückzukommen. »Arme kleine Alex«, seufzte sie. »Wenn ich nur wüsste, wo sie gerade steckt.«
»Ich bin sicher, es geht ihr gut«, beruhigte sie Callie, auch wenn sie sich da keineswegs so sicher war. »Wenn sie mit Jilly Streit gehabt hat, wird sie keine Lust verspüren, so bald wieder nach Hause zu gehen.«
»Sie hätte zu mir kommen sollen«, sagte Morag. »Ich kann mir einfach nicht denken, wo sie sonst noch hingegangen sein könnte.«
Bella räkelte sich, sprang vom Sessel, trottete zu Callie herüber und sah sie mit einem flehentlichen Blick an.
»Ich denke, sie muss mal raus«, vermutete Callie.
»So ist’s brav«, sagte Morag, mehr zu dem Hund als zu Callie. »Geh zu deiner Mummy. Die kümmert sich um dich.«
In dem Moment riss Morag die Augen auf; ihr Mund bildete ein rundes O.
»Das ist es«, sagte sie, und ihre Stimme klang plötzlich ganz fest. »Alex wird nach Schottland gefahren sein. Um ihre Mutter zu suchen.«
Eli hatte sich erboten, mitzukommen, doch Yolanda hielt es für angemessener, Rachels Haus allein zu betreten. Sie öffnete mit ihrem Schlüssel, ging geradewegs die Treppe hoch ins Kinderzimmer und holte die warmen Sachen für das Baby aus der Kommode.
Das schwarzhaarige Baby.
Yolanda wusste, dass im Elternschlafzimmer ein Foto von Trevors und Rachels Hochzeit an der Wand hing. Um es sich noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, ging sie hinüber und sah es sich an.
Ja, Trevor war ganz genauso blond wie Rachel. Sein Haar war sogar eher noch heller als ihres, fast skandinavisch blond.
Sie setzte sich auf den Bettrand und überlegte.
Biologie war an der Schule nicht gerade eins ihrer besten Fächer gewesen, doch in ihren Jahren als Hebamme hatte sie eine Menge über die praktischen Konsequenzen der Genetik gelernt. Sie konnte sich bei all den Babys, die sie zur Welt gebracht hatte, an keinen einzigen Fall von zwei blonden Eltern mit einem schwarzhaarigen Kind erinnern.
Der Babyanzug glitt ihr vom Schoß auf den Boden. Yolanda beugte sich vor, um ihn aufzuheben, und sah, dass die Ecke eines Laptops unter dem Bett hervorguckte.
Ein Laptop?
Yolanda war für eine Woche im Haus gewesen und konnte sich nicht erinnern, je einen Laptop gesehen zu haben. Falls es einen gegeben hätte, dann hätte DI Stewart ihn zweifellos mitnehmen und im Labor überprüfen lassen. Von Danny Duffy und den anderen Computer-Genies.
Sie musste plötzlich daran denken, wie sie vor einigen Tagen überraschend in Rachels Zimmer gekommen war und Rachel etwas unters Bett geschoben hatte.
Es ging sie nichts an, sagte sich Yolanda. Das war nicht ihre Aufgabe. Sie sollte, wie sie Rachel versprochen hatte, ins Krankenhaus gehen und ihr die Babysachen bringen.
»Ich bin mir absolut sicher. Alex hat sich auf die Suche nach ihrer Mum gemacht. Nach Harriet.«
»Aber wie soll sie ihre Mutter denn finden?«, fragte Callie erstaunt. »Sie weiß doch gar nicht, wo Harriet ist, oder?«
»Also …« Morag stand auf und ging zu den Fotos, die auf dem Klavier aufgereiht waren; sie nahm eins von Alex in die Hand und streichelte geistesabwesend den Rahmen. »Ich
glaube, ich habe Ihnen das gar nicht erzählt. Ich hab vor ein paar Tagen mit meiner kleinen Alex telefoniert.«
»Sie hatten erwähnt, sie hätte angerufen und eine Nachricht hinterlassen«, erinnerte sich Callie.
»Ja. Danach hat sie noch mal angerufen. Sie hat mich nach ihrer Mutter gefragt – sie wollte wissen, ob ihre Mutter tot wäre.«
Callie schrak zusammen. »Tot?«
»Offenbar stand sie unter diesem Eindruck. Sie hatte schreckliche Angst, ihre Mutter könnte tot sein. Also habe ich ihr erzählt …« Morag blickte ins Leere.
»Was haben Sie ihr erzählt?«, hakte Callie nach.
Morag schüttelte energisch den Kopf, als riefe sie sich in die Gegenwart zurück. »Ich habe ihr erklärt, dass es ihrer Mutter nicht gut geht und sie in einer Klinik in der Gegend der Borders ist. Die Adresse habe ich ihr aber nicht gegeben.« Sie rieb sich die Stirn. »Vielleicht hätte ich ihr gar nicht so viel verraten sollen. Falls ich auch nur das Geringste dazu beigetragen habe, dass sie von zu Hause weggelaufen ist … oh, Callie. Das könnte ich mir nie verzeihen. Niemals.«
»Ich rufe Marco an«, beschloss Callie. »Wenn Sie die Anschrift von Alex’ Mutter haben …«
»O nein«, Morag schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Angus darf auf keinen
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