Schuldig wer vergisst
freute sich, dass Triona sie gefragt hatte.
Neville schaffte es zur Arbeit, auch wenn er vom nächtlichen Whiskey etwas angeschlagen war und den Schnee verfluchte.
Doch ihm blieb keine Zeit, es sich an seinem Schreibtisch bequem zu machen und einen schwarzen Kaffee zu schlürfen: Es ging fast augenblicklich los.
Als Erstes kam der Anruf aus dem Labor, wo sie die Nacht durchgearbeitet hatten. »Wollten nur die DNA-Ergebnisse durchgeben«, sagte der Techniker, »die Proben passen.«
»Passen?« Neville war so verblüfft, dass er beinahe seinen Kaffeebecher fallen ließ. Mit dieser Auskunft hatte er keineswegs gerechnet. »Wollen Sie damit sagen, dass unser Toter tatsächlich Trevor Norton ist?«
»Was ich Ihnen sage, ist, dass die Zahnbürste dem Mann im Leichenschauhaus gehört hat. Der Abgleich ist definitiv positiv. Passt zu 99,9 Prozent.«
Nach einem verzögerten Dankeschön legte Neville auf und ordnete die Fakten in seinem Kopf neu. Der Tote war also doch Trevor Norton, es sei denn, Rachel hätte ihnen die falsche Zahnbürste gegeben, was nun doch zu weither geholt schien. Besonders, wenn man die Theorie verfolgte, Trevor hätte einen beliebigen Fremden ermordet. Wie wären sie dann an dessen Zahnbürste gekommen?
Demnach war Trevor wirklich tot, und sie konnten wieder von vorn anfangen. Yolandas Überlegungen erwiesen sich als reine Spekulation.
Trevor Norton war tot. Aber was war mit Rachel und diesem Telefonat? Neville musste mit Sid Cowley reden, doch seine kurze Suche erbrachte, dass Sid noch nicht im Haus war. Wenig später erreichte Neville ihn auf dem Handy. »Ich stecke im Stau«, stöhnte Cowley. »Irgendein Wichser steht auf der Kreuzung quer. Ist ins Schleudern geraten, und jetzt geht gar nichts mehr.«
»Na ja, dann kommen Sie eben so schnell Sie können.« Als Nächstes versuchte Neville, Yolanda zu erreichen, zuerst auf ihrem Handy – auf dem sie, wie eine blecherne Stimme ihn
wissen ließ, im Moment nicht erreichbar war – und dann bei Rachel zu Hause. Nichts.
Wo zum Teufel steckte sie, und weshalb hatte sie in einer so kritischen Situation ihr Handy ausgeschaltet?
Rachels Niederkunft verlief, obgleich über eine Woche zu früh, ohne Komplikationen. Yolanda, die auf Hunderte Geburten zurückblickte, geleitete sie professionell hindurch und war zugleich darauf bedacht, dem verantwortlichen Arzt nicht auf die Füße zu treten.
Kurz nach zehn Uhr morgens legte sie Rachel ein winziges, aber gesundes Baby in die Arme. »Es ist ein Mädchen«, sagte sie. »Ein wunderschönes Mädchen.«
»Trevor war sich immer ganz sicher, dass es ein Junge wird.« Rachel schien den Tränen nahe.
»Was wissen Männer schon?« Die zynische Bemerkung war ihr herausgerutscht, bevor Yolanda recht darüber nachgedacht hatte, doch Rachel schien es nicht mitbekommen zu haben.
»So viel Haar«, murmelte Rachel.
Das war Yolanda durchaus nicht entgangen: ein Kopf mit üppigem, schwarzem Haar. Pechschwarz, rabenschwarz.
Mark fuhr gewöhnlich am liebsten mit dem Bus zur Arbeit, doch an diesem Morgen beschloss er angesichts der Verkehrsprobleme, auf die U-Bahn umzusteigen.
Allerdings stand er mit dieser Entscheidung nicht alleine: Wer sonst mit dem Auto, Fahrrad oder Bus oder auch zu Fuß zur Arbeit kam, strömte an diesem Morgen die Rolltreppen hinunter und zwängte sich in die überfüllten Waggons.
Dicht gedrängt mit entschieden zu vielen Menschen, die sich an ein und derselben Stange festhielten, wanderten Marks Gedanken zu dem merkwürdigen Verlauf des Vortags zurück. Peter hatte ihn daran gehindert, Callie zu erzählen,
was geschehen war, und so schleppte er Serenas Kummer und seine eigene Wut noch immer mit sich herum. Die Enthüllung über Joes Untreue löste bei Mark Gefühle aus, die er wochenlang hatte unterdrücken können: Konflikte und ungelöste Probleme mit diesem wunderbaren, schrecklichen Wesen la famiglia Lombardi, seinem Platz darin und seiner Pflicht, sie intakt zu halten. Weshalb glaubte er eigentlich, er müsse dafür sorgen, dass das Boot nicht ins Schwanken geriet? Und wieso meinte er, die Welt würde aus den Fugen geraten, wenn er ihnen – und sich – gestand, wie wichtig Callie für ihn geworden war?
Er musste etwas unternehmen. Etwas, das schon vor Wochen fällig gewesen wäre. Er hatte es zu lange hinausgezögert, und jetzt beschloss er, keinen Tag länger zu warten. Komme, was da wolle. Heute. Heute würde er es tun.
Kaum hatten sie Rachel in die
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