Schuldig wer vergisst
City.«
»Danke.«
Durch die Schranke, die Rolltreppe hinunter und in den Zug. In Richtung Zentrum war er nicht allzu überfüllt. In der Baker Street war allerdings die Rushhour schon voll im Gange, und als sie erst einmal durch das Labyrinth von Tunneln die Bakerloo Line gefunden hatte, musste sich Alex in einen überfüllten Waggon drängeln.
Schon jetzt war ihr klar, dass sie die U-Bahn nicht leiden konnte. Zu viele Menschen auf zu engem Raum. Kaum Platz zum Stehen, und es gab offenbar Leute auf der Welt – und das sogar in London -, die sich nicht täglich wuschen. Alex hielt sich an einer senkrechten Stange fest, versuchte, nicht allzu tief einzuatmen, und hoffte, nicht umgerempelt zu werden. Vielleicht nahm sie sich für den Nachhauseweg ein Taxi, obwohl sie ein Rückfahrtticket gelöst hatte.
Fast hätte sie ihre Haltestelle in Paddington verpasst und es nicht geschafft, sich zwischen all den Leibern bis zur Tür durchzuzwängen, bevor sie wieder automatisch schloss. »Entschuldigung. Entschuldigung«, wiederholte sie unentwegt, bis sie endlich atemlos auf dem Bahnsteig stand.
Also. Wo war die Uhr? Jack hatte offenbar angenommen, sie wüsste es.
Hier nicht. Jedenfalls nicht auf diesem Bahnsteig. Sie wartete eine Minute, bis der Zug abgefahren war und der Bahnsteig
sich langsam wieder mit Menschen füllte, die auf den nächsten Zug warteten.
»Entschuldigen Sie«, wandte sie sich an eine freundlich aussehende ältere Frau. »Könnten Sie mir wohl sagen, wo die Uhr ist?«
»Oh, du willst wissen, wie spät es ist?« Die Frau sah nach. »Gerade fünf.«
Demnach war sie spät dran. »Nein, ich suche nach dieser Uhr. Ich habe mich mit jemandem dort verabredet.« Bestimmt würde Jack auf sie warten. Bestimmt. Bestimmt.
»Die Uhr?« Die Frau sah sich um. »Ach so, du meinst sicher die Station der Mainline. Die Rolltreppe rauf. Du kannst sie gar nicht verfehlen.«
»Danke«, sagte Alex über die Schulter hinweg und folgte schon dem Schild zum Ausgang.
Den Gang runter, die Rolltreppe hinauf, durch die Schranke. Alex hatte nicht gewusst, dass sie den Fahrschein am Ausgang noch einmal brauchen würde, zum Glück hatte sie ihn nicht weggeworfen, doch sie musste einen Moment in ihren Taschen danach wühlen.
Die Station der Mainline war riesig – wie eine kleine Stadt für sich wimmelte sie von Läden und Imbissstuben. Die Menschen strömten unaufhörlich vorbei – vom Zug in die U-Bahn, von der U-Bahn in den Zug. Ein paar blieben stehen, um sich eine Zeitung oder ein Sandwich zu kaufen. Manche studierten die riesigen Anschlagtafeln mit den Reiseauskünften: Ankunft, Abfahrt, Reiseziel, Bahnsteignummern, Uhrzeit. Alle paar Sekunden wechselten die Daten.
Und da – dort in der Mitte – war die Uhr. Die große Uhr.
Alex blieb stehen und holte tief Luft. Auf der Uhr war es zehn nach fünf.
Neville hatte Yolanda nach Hause geschickt; jetzt konnte er es kaum abwarten, ihrem Beispiel zu folgen. Es war Freitagabend,
verflucht noch mal, und dieser Fall kotzte ihn langsam an. Eine Woche lang zog sich das nun schon so hin, und sie waren keinen Schritt weitergekommen. Er wollte nach Hause, etwas Dämliches im Fernsehen anschauen, ein Takeaway-Curry bestellen und sich bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen. Er hatte das ganze Wochenende frei, und das hieß, er konnte trinken, so viel er wollte.
Trinken. Triona. Es war so viel passiert, dass er kaum einen Gedanken an sie verschwendet hatte oder an die E-Mail, die er ihr geschickt hatte. Und auch nicht an die Antwort, die zweifellos auf ihn wartete.
Er drehte sich zu seinem Computer auf dem Schreibtisch um und öffnete das E-Mail-Programm.
Jede Menge Werbung, SPAM und anderer Mist. Leute, die ihm irgendetwas verkaufen wollten.
Nichts von Triona. Nichts.
Jack hatte gesagt, er würde auch Rot tragen. Eine rote Jacke, eine rote Mütze, einen roten Schal oder wie sie einen roten Pullover?
Alex suchte die Leute in der Nähe der Uhr mit ihren Blicken ab. Eine Frau mit roten Lederhandschuhen, ein Mädchen mit einem roten Rucksack auf dem Rücken. Beide schienen auf ihrem Weg zu einem anderen Ziel nur vorbeizulaufen.
Er ist schon weg, sagte sie stumm, und eine Woge der Verzweiflung schwappte über sie hinweg. Weg. Weg. Weg. Sie hatte diese grässliche U-Bahn-Fahrt über sich ergehen lassen, um hierher zu kommen, und es war zu spät. Er hatte nicht auf sie gewartet.
Ihr standen die Tränen in den Augen.
»Sasha?«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Alex
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