Schuldig
der noch immer an einem Deckenbalken in dem einzigen Klassenraum baumelte?
Er hielt vor dem Haus gleich hinter der Schule, eigentlich eher eine aufgebockte Hütte, vor der ein Snowmobil parkte und ein Aluminiumboot unter einer blauen Plane hervorlugte. An den Fenstern klebten Schneeflocken aus Papier und ein rotes metallenes Kruzifix. »Wieso halten wir?«, fragte Laura. »Was ist mit Trixie?«
Er stieg von der Maschine und drehte sich zu ihr um. »Du kommst nicht weiter mit.«
Laura war nicht an diese Kälte gewöhnt. Er konnte sich nicht von ihr aufhalten lassen und dabei Gefahr laufen, Trixie endgültig zu verlieren. Und ein Teil von ihm wollte auch allein sein, wenn er Trixie fand.
Laura starrte ihn sprachlos an. Ihre Augenbrauen waren weià von Frost, ihre Wimpern vereist, und als sie endlich die Sprache wiederfand, wehte ihr Satz wie ein Banner zwischen ihnen auf. »Bitte tu das nicht«, sagte sie und fing an zu weinen. »Nimm mich mit.«
Daniel nahm sie in die Arme. Offenbar glaubte Laura, dass er sie bestrafen, sich dafür rächen wollte, dass sie ihn auf eine andere Weise zurückgelassen hatte, als sie die Affäre hatte. Sie wirkte auf einmal verwundbar, und es rief ihm in Erinnerung, wie leicht es noch immer für sie beide war, sich gegenseitig zu verletzen. »Wenn wir durch die Hölle gehen müssten, um Trixie zu finden, würde ich dir folgen. Aber das hier ist eine andere Art Hölle, und hier kenne ich mich aus. Ich bitte dich ⦠ich flehe dich an, mir zu vertrauen.«
Laura öffnete den Mund, und das, was eine Antwort sein sollte, kam als weiÃer Atemhauch heraus, in dem alles lag, was sie nicht sagen konnte. Vertrauen war ja gerade das, was zwischen ihnen nicht mehr bestand. »Ich komme schneller voran, wenn ich mir keine Sorgen um dich machen muss«, erklärte er.
Daniel sah ehrliche Angst in ihren Augen. »Du kommst doch zurück?«, fragte sie.
»Wir kommen beide zurück.«
Laura sah sich um. Der Ort war still, windgepeitscht, kalt. Er sah aus, das wusste Daniel, wie das Ende der Welt.
»Komm.« Er führte Laura über ein paar Holzstufen zur Haustür hinauf und trat, ohne anzuklopfen, in einen kleinen Vorraum. Hier lagen Zeitungsstapel herum, und an Nägeln in der Decke hingen Plastikbeutel. Rechter Hand stand ein Paar Schneestiefel, und an der rückwärtigen Wand war neben der Tür, die ins Haus führte, eine gegerbte Tierhaut gespannt. Auf dem Linoleumboden lagen abgetrennte Elchhufe und ein halbes Rippenstück.
Laura stieg zögerlich darüber hinweg. »Ist das ⦠das Haus, in dem du gewohnt hast?«
Die innere Tür öffnete sich, und eine etwa sechzigjährige Yupik-Frau mit einem Säugling im Arm kam zum Vorschein. Sie warf einen Blick auf Daniel und wich mit Tränen in den Augen zurück.
»Ich nicht«, sagte Daniel. »Cane.«
Charles und Minnie Johnson, die Eltern von Daniels einzigem Freund in Kindertagen, behandelten ihn mit derselben Ehrerbietung, die sie jedem anderen Geist entgegengebracht hätten, der sich an ihren Küchentisch setzte, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Charlesâ Haut war dunkel und faltig wie eine Zimtstange. Er trug Jeans mit Bügelfalte und ein rotes Westernhemd, und er nannte Daniel Wass. Der graue Star hatte seine Augen getrübt.
»Lange her«, sagte Charles.
»Ja.«
»Lebst du jetzt drauÃen?«
»Ja, mit meiner Familie.«
Längeres Schweigen trat ein. »Wir haben uns schon gefragt, wann du nach Hause kommst«, sagte Minnie schlieÃlich.
Die Yupik sprachen nicht über Tote, und daran hielt sich Daniel. Aber er hatte weniger Ãbung mit Schweigen. In einem Yupik-Haus konnten zehn Minuten zwischen einer Frage und der Antwort vergehen. Manchmal musste man nicht mal laut antworten, der Gedanke genügte.
Sie saÃen still um den Küchentisch, bis eine junge Frau zur Haustür hereinkam. Sie war unverkennbar Minnies Tochter â aber Daniel hatte sie nur als Mädchen in Erinnerung. Jetzt jedoch hielt die junge Frau ihr eigenes Baby im Arm, das einen Blick auf Laura warf, den Arm ausstreckte und lachte.
»Verzeihung«, sagte Elaine verlegen. »Er hat noch nie jemanden mit roten Haaren gesehen.« Sie zog sich und ihrem Baby die dicken Jacken aus.
»Elaine, das ist Wass«, sagte Charles. »Er hat vor langer Zeit hier gelebt.«
Daniel stand auf, als er vorgestellt
Weitere Kostenlose Bücher