Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
nicht mehr sagen können, welchen Weg sie und Willie genommen hatten. Die Sonne stand jetzt so tief und spiegelte sich so stark im Eis, dass Trixie die Augen brannten, als sie versuchte, die Spur auf dem grellweißen Feld auszumachen.
    Sie ließ sich neben Juno aufs Stroh sinken und kraulte den Hundekopf mit ihrem Handschuh. Der Husky starrte sie mit einem braunen und einem blauen Auge an, und wenn er hechelte, sah es aus, als schmunzelte er. Trixie stellte sich vor, wie es wohl war, ein Schlittenhund zu sein und zu erkennen, dass man durchhalten musste, weil man sonst einfach zurückgelassen wurde. Sie überlegte, was für ein Gefühl es sein mochte, in einem fremden Land den eigenen Instinkten zu trauen, den Unterschied zu kennen zwischen dem Ort, an dem du einmal warst, und dem, den du erreichen willst.

    Wenn der Fluss im Winter zufror, bekam er eine eigene Highway-Nummer, und man konnte zu jeder Zeit verrostete Pick-ups und Hundeschlittengespanne sehen, die in jede beliebige Richtung über das Eis glitten. Wie die meisten Yupik-Eskimos hielt Nelson nichts von Helm oder Schutzbrille. Um sich auf dem Snowmobil des Alten gegen den Wind zu schützen, musste Daniel sich tief hinter die Plexiglasscheibe ducken. Laura saß hinter ihm, das Gesicht in seine Jacke gedrückt.
    Mitten auf dem Fluss stand reglos ein weißer Pick-up. Daniel bremste ab. »Das muss ein Kontrollpunkt sein«, sagte er. Als er von der Maschine stieg, brummten ihm die Oberschenkel von den Vibrationen des starken Motors. Er wusste, dass Laura entsetzlich fror, wenn sie sich auch nicht beklagte.
    Eine weiße Frau mit Dreadlocks rollte das Fenster auf der Fahrerseite herunter. »Kingurauten Joseph, um Himmels willen, besauf dich irgendwo anders.«
    Kingurauten hieß auf Yupik zu spät . Daniel zog sich den Halswärmer von Nase und Mund. »Ich glaube, Sie verwechseln mich«, setzte er an und merkte dann, dass er die Frau im Pick-up kannte. »Daisy?«, sagte er unsicher.
    Crazy Daisy, so wurde sie damals in Daniels Kindheit genannt, als sie die Post per Hundeschlitten zu den kleinen entlegenen Dörfern brachte. Sie runzelte die Stirn. »Wer zum Teufel bist du?«
    Â»Daniel Stone«, sagte er. »Der Sohn von Annette Stone.«
    Â»Annettes Junge hieß anders. Er hieß …«
    Â»Wassilie«, beendete Daniel den Satz für sie.
    Daisy kratzte sich am Kopf. »Bist du nicht damals abgehauen, weil …«
    Â»Nein, nein«, log Daniel. »Ich bin damals aufs College.« Es war allgemein bekannt, dass Daisy so geworden war, weil sie in den Sechzigerjahren mit Timothy Leary und Konsorten rumgehangen hatte, was wichtige Teile ihres Gehirns nicht unbeschadet überstanden hatten. »Hast du zufällig hier ein Snowmobil mit einem kass’aq -Mädchen und einem Yupik-Jungen vorbeikommen sehen?«
    Â»Heute Morgen?«
    Â»Ja.«
    Daisy schüttelte den Kopf. »Nee. Tut mir leid.« Sie deutete mit dem Daumen auf die Rückbank. »Willste reinkommen und dich aufwärmen? Ich hab Kaffee hier und Snickers.«
    Â»Geht nicht«, sagte Daniel nachdenklich. Wenn Trixie nicht an Akiak vorbeigekommen war, wie hatte er sie dann auf dem Trail verpassen können?
    Â»Vielleicht später«, rief Daisy, als er das Snowmobil wieder anwarf. »Würd mich gern ein bisschen mit dir unterhalten.«
    Daniel tat so, als hätte er sie nicht gehört. Aber als er um den Pick-up herumfuhr, winkte Daisy mit beiden Armen, damit er stehen blieb. »Heute Morgen ist hier keiner durchgekommen«, sagte sie, »aber gestern Abend, kurz vor dem Schneesturm, sind ein Mädchen und ein Junge hier vorbeigefahren.«
    Daniel antwortete nicht, sondern gab einfach Vollgas, fuhr die Flussböschung hoch und in den Ort Akiak hinein, aus dem er vor fünfzehn Jahren geflohen war. Der Waschsalon, wo sie auch geduscht hatten, war jetzt ein kleiner Kramladen mit Videoverleih. Die Schule war noch immer das flache, funktionale Gebäude, das er in Erinnerung hatte, und vor dem Haus daneben, in dem er aufgewachsen war, sah er zwei Hunde, die an einen Pfahl gebunden waren. Daniel fragte sich, wer jetzt wohl dort lebte, ob es wieder eine Lehrerin war, ob sie Kinder hatte. Ob die Basketbälle in der Turnhalle noch immer gelegentlich anfingen zu tanzen, ohne dass jemand sie in Bewegung gesetzt hatte? Ob derjenige, der als Letzter das Gebäude abschloss, je den alten Direktor sah,

Weitere Kostenlose Bücher