Schuldig
zehn Minuten zuvor eingeliefert worden war. Sie schlief, als der Mann der Sekretärin seinen Kollegen in der Papiermühle erzählte, dass Bethels Eishockeyteam dieses Jahr vielleicht doch nicht die Highschoolmeisterschaften von Maine gewinnen würde und warum nicht. Sie schlief noch immer, als einer der Arbeiter aus der Mühle abends auf dem Nachhauseweg noch ein Bier mit seinem Bruder trank, einem Reporter der Augusta Tribune , der wiederum ein paar Telefonate führte und herausfand, dass am Vormittag tatsächlich ein Haftbefehl gegen einen Minderjährigen ausgestellt worden war, dem ein schweres Sexualdelikt zur Last gelegt wurde. Sie schlief, als der Reporter die Polizei in Bethel anrief und sich als Vater des Mädchens ausgab, das am Morgen eine Aussage gemacht hatte. Er fragte, ob sie vielleicht eine Mütze liegen gelassen hatten. »Nein, Mr. Stone«, sagte die Sekretärin, »aber ich sag Ihnen Bescheid, wenn wir sie finden.«
Trixie schlief weiter, während die Story geschrieben wurde und in Druck ging. Sie schlief, als die frische Ausgabe der Zeitung zu Paketen verschnürt in Lieferwagen ausgefahren und schlieÃlich von den Zustellern aus den Seitenfenstern klappriger Hondas geworfen wurden. Und sie schlief noch immer, als ganz Bethel am nächsten Morgen die Schlagzeile las. Doch inzwischen wussten ohnehin alle, dass Jason Underhill am Vortag von einem Eishockeyspiel weggeholt worden war. Sie wussten, dass Roy Underhill für seinen Sohn einen Anwalt aus Portland engagiert hatte und jedem, der es hören wollte, erzählte, sein Sohn sei reingelegt worden. Und obwohl der Artikel immerhin so anständig war, sie nicht mit Namen zu nennen, wusste alle Welt, dass Trixie Stone, die noch immer schlief, das Mädchen war, das diese Tragödie ins Rollen gebracht hatte.
Da Jason siebzehn war, wurde er dem Jugendhaftrichter vorgeführt. Und da Jason siebzehn war, fand die Sitzung unter Ausschluss der Ãffentlichkeit statt. Jason trug das Sakko und die Krawatte, die seine Mutter ihm extra für die Vorstellungsgespräche an diversen Colleges gekauft hatte. Und sein Anwalt hatte ihn gezwungen, sich die Haare schneiden zu lassen, und zwar mit der Begründung, die Entscheidung eines Haftrichters könne mitunter von etwas so Banalem abhängen wie dem Umstand, ob er deine Augen sehen konnte oder nicht.
Sein Anwalt Dutch Oosterhaus war so aalglatt, dass Jason sich nicht gewundert hätte, wenn der Mann auf dem Boden eine Schleimspur hinterlassen hätte. Er trug Schuhe, die quietschten, und ein Hemd mit Manschettenknöpfen. Aber sein Vater hielt Dutch für den besten Anwalt in ganz Maine und war überzeugt, dass er die üble Sache aus der Welt schaffen würde.
Jason wusste nicht, welcher Teufel in Trixie gefahren war. Sie hatten es beide gewollt, und wie! â Einvernehmlich , hatte Dutch es genannt. Wenn sie Nein gemeint hatte, dann war das eine Fremdsprache, die Jason nicht kannte.
Und trotzdem. Jason versuchte das Zittern seiner Hände unter dem Tisch zu verstecken. Er versuchte, optimistisch und vielleicht ein kleines bisschen genervt auszusehen, wo ihm in Wirklichkeit vor lauter Schiss speiübel war.
Die Staatsanwältin sah aus wie ein Hai. Sie hatte ein breites, flaches Gesicht, fast weiÃblondes Haar und spitze, groÃe Zähne. Sie hieà Marita Soorenstad, und sie hatte einen Bruder, der vor zehn Jahren ein richtiger Star der Eishockeymannschaft gewesen war, aber das schien sie Jason gegenüber nicht milder zu stimmen. »Euer Ehren«, sagte sie jetzt, »die Staatsanwaltschaft besteht zwar nicht darauf, dass der Angeklagte in Untersuchungshaft genommen wird, wir beantragen aber die Festsetzung folgender Bedingungen: Erstens, er darf weder zu dem Opfer noch zur Familie des Opfers Kontakt aufnehmen. Zweitens, er muss sich einer Therapie wegen Drogen- und Alkoholmissbrauchs unterziehen. Und drittens, er darf mit Ausnahme der Schulbesuche das Elternhaus nicht verlassen â was auch den Ausschluss von sportlichen Veranstaltungen bedeutet.«
Der Richter war ein älterer Mann mit schütterem Haar. »Mr. Underhill, ich lege nun die Bedingungen für die Haftentlassung fest. Falls Sie gegen eine davon verstoÃen, kommen Sie nach Portland ins Untersuchungsgefängnis. Haben Sie verstanden?«
Jason schluckte trocken und nickte.
»Sie werden keinerlei Kontakt zu dem Opfer oder dessen Familie aufnehmen. Sie
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