Schuldig
ihre Welt zu passen. »Wissen Sie was«, sagte sie, »alles schön und gut, aber ich dachte eher an Selbstmord oder irgendwas in der Art. Sie müssen sich nicht weiter um mich kümmern.«
»Trixie â¦Â«
»Sie haben doch keine Ahnung, wie ich mich fühle«, schrie Trixie. »Also stehen Sie nicht hier rum und tun so, als wüssten Sie, wie es in mir aussieht. Sie waren in jener Nacht nicht dabei.«
Janice baute sich dicht vor Trixie auf. »1972 war ich fünfzehn. Ich war auf dem Nachhauseweg und hab eine Abkürzung über den Schulhof der Grundschule genommen. Da war ein Mann, der behauptete, er hätte seinen Hund verloren. Er hat gefragt, ob ich ihm suchen helfen würde. Plötzlich hat er mich gepackt, unter die Rutsche gezogen und vergewaltigt.«
Trixie starrte sie sprachlos an.
»Er hat mich drei Stunden festgehalten. Die ganze Zeit hab ich immer nur daran gedacht, wie ich früher nach der Schule da gespielt hatte. Jungs hielten sich immer getrennt von den Mädchen auf der anderen Seite des Klettergerüsts auf. Und für uns Mädchen war es eine Mutprobe, auf die Jungenseite zu rennen und dann wieder zurück in Sicherheit.«
Trixie blickte nach unten auf ihre FüÃe. »Es tut mir leid«, flüsterte sie.
»Schrittchen für Schrittchen«, sagte Janice.
An diesem Wochenende lernte Laura, dass es keine kosmischen Schiedsrichter gibt, dass einem keiner eine Auszeit schenkt, auch nicht, wenn du kaum noch bei Besinnung bist, weil deine Welt einen so heftigen Schlag erlitten hat. Die Spülmaschine muss trotzdem ausgeräumt werden, der Wäschekorb quillt über, und die alte Schulfreundin ruft an, um nach langer Zeit ein Schwätzchen zu halten, und merkt nicht, dass du ihr nicht erzählen kannst, was in letzter Zeit alles passiert ist, ohne zusammenzubrechen. Die zwölf Studenten in deinem Seminar erwarten trotzdem, dass du am Montagmorgen erscheinst.
Laura hatte vorgehabt, sich mit Trixie zu verkriechen, ihre Tochter zu umsorgen, während sie ihre Wunden leckte. Aber Trixie wollte allein sein, und so strich Laura nun ziellos durch ein Haus, das im Grunde Daniels Reich war.
»Ich lass mich vom College beurlauben«, hatte sie Daniel am Sonntag offenbart, als er gerade die Zeitung las. Stunden später, als sie möglichst weit voneinander entfernt im Bett lagen â ihre Affäre wie eine undurchdringliche Wand zwischen ihnen â, hatte er das Thema noch einmal angesprochen. »Vielleicht solltest du das nicht tun«, sagte er.
Sie hatte ihn fragend angesehen, unsicher. Wollte er sie nicht rund um die Uhr im Haus haben, weil das zu schwierig wäre? Glaubte er, ihr sei die Karriere wichtiger als ihre Tochter?
»Vielleicht ist es für Trixie besser«, fügte er hinzu, »wenn sie sieht, dass alles wieder seinen normalen Gang geht.«
Laura hatte zur Decke hochgeblickt. »Und wenn sie mich braucht?«
»Dann ruf ich dich an«, erwiderte Daniel kühl. »Und du kommst sofort nach Hause.«
Am nächsten Morgen suchte Laura sich ein paar Nylonstrümpfe und einen von den Röcken heraus, die sie nur zur Arbeit trug. Sie machte sich ein Brot, das sie im Auto essen würde, und legte Trixie einen Zettel hin. Während der Fahrt merkte sie, dass sie sich immer leichter fühlte, je mehr Abstand sie zwischen sich und zu Hause brachte.
Ihre Studenten saÃen bereits im Seminarraum und führten eine hitzige Diskussion. Wie hatte ihr das gefehlt, dieses Gefühl dafür, wohin sie gehörte, die Lust an der intellektuellen Auseinandersetzung. Gesprächsfetzen drangen zu ihr auf den Flur. ⦠weià es von meinem Cousin, der auf die Highschool geht ⦠reingelegt ⦠selber schuld. Laura blieb vor der Tür stehen und fragte sich einen kurzen Moment lang, wie sie nur so naiv gewesen sein konnte zu glauben, dass dieses schreckliche Erlebnis nur Trixie widerfahren war, wo sie doch in Wahrheit alle drei davon betroffen waren. Sie holte tief Luft, betrat den Raum, und in der plötzlichen Totenstille richteten sich zwölf Augenpaare auf sie.
»Lassen Sie sich durch mich nicht stören«, sagte sie ruhig.
Die Studenten rutschten unbehaglich auf ihren Stühlen hin und her. Laura hatte sich so danach gesehnt, in der vertrauten akademischen Welt Trost zu finden â einem Ort, der so festgefügt und unwandelbar war, dass Laura ganz sicher gewesen war, genau
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