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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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da weitermachen zu können, wo sie aufgehört hatte –, aber zu ihrer Überraschung schien sie nicht mehr dazuzugehören. Das College war unverändert, ebenso wie die Studenten. Es war Laura, die eine andere geworden war.
    Â»Professor Stone«, sagte eine Studentin, »geht’s Ihnen gut?«
    Laura blinzelte, bis sie die Gesichter vor sich klar und deutlich sah. »Nein«, sagte sie und fühlte sich plötzlich zu müde, um noch irgendwem irgendwas vorzumachen. »Nein, mir geht es nicht gut.« Dann stand sie auf – ließ ihre Unterlagen, ihren Mantel und ihre verblüffte Klasse zurück und ging zurück in den grellen Schnee, fuhr wieder dorthin, wo sie die ganze Zeit hätte sein sollen.

    Â»Tun Sie’s«, sagte Trixie und schloss die Augen.
    Sie war im Friseursalon Live and Let Dye , der hauptsächlich von älteren Damen mit bläulich schimmerndem Haar frequentiert wurde. Unter normalen Umständen hätte sie sich niemals dort blicken lassen, aber sie hatte sich zum ersten Mal wieder aus dem Haus gewagt. Ihr Vater hatte sie nur ungern gehen lassen. »Sei in einer Stunde zurück, okay«, hatte er gesagt.
    Bestimmt stand er schon jetzt an dem Erkerfenster, von wo aus die Straße am besten zu überblicken war. Aber sie hatte es bis hierher geschafft, und ihr kleiner Ausflug sollte sich schließlich lohnen. Janice hatte Trixie geraten, vor anstehenden Entscheidungen eine Pro-und-Kontra-Liste zu machen – und im Augenblick fand Trixie, dass alles, was ihr half, das Mädchen zu vergessen, das sie mal gewesen war, nur positiv sein konnte.
    Â»Du hast einen schönen Pferdeschwanz«, sagte die ältere Friseurin. »Du solltest ihn spenden.«
    Â»Spenden?«
    Â»Es gibt eine Wohltätigkeitsorganisation, die Perücken für Krebspatienten anfertigen lässt.«
    Trixie starrte sich im Spiegel an. Ihr gefiel die Vorstellung, jemandem zu helfen, dem es tatsächlich noch schlechter ging als ihr. Ihr gefiel die Vorstellung, dass es überhaupt jemanden gab, dem es noch schlechter ging als ihr.
    Â»Okay«, sagte Trixie. »Was muss ich da machen?«
    Â»Wir erledigen das«, sagte die Friseurin. »Du hinterlässt einfach nur deinen Namen, damit die Leute dir eine Dankeschönkarte schicken können.«
    Wenn Trixie klar bei Verstand gewesen wäre, hätte sie einen falschen Namen genannt. Aber vielleicht las die Frau keine Zeitung und sah sich im Fernsehen immer nur die Golden Girls an, jedenfalls zuckte sie mit keiner falschen Wimper, als Trixie ihr sagte, wie sie hieß. Sie schrieb den Namen auf eine kleine Karte, die sie mit einer Kordel um Trixies hüftlanges Haar band. Dann griff sie zur Schere. »Jetzt wird’s ernst«, sagte sie.
    Beim ersten Schnitt hielt Trixie den Atem an. Dann merkte sie, wie viel leichter sie sich ohne die Last der Haarmähne fühlte. »Ich will sie bürstenkurz«, erklärte Trixie.
    Die Friseurin zögerte: »Schätzchen«, sagte sie, »so was tragen Jungs .«
    Â»Ist mir egal«, sagte Trixie.
    Die Friseurin seufzte. »Mal sehen, vielleicht krieg ich ja was hin, was uns beiden gefällt.«
    Trixie schloss die Augen und spürte die Schere um ihren Kopf schnippeln. Haare fielen in weichen, roten Büscheln hinab, wie die Federn eines im Flug erlegten Vogels. »Adieu«, flüsterte sie.

    Das extrabreite Ehebett hatten sie gekauft, als Trixie drei war und immer öfter vor den Albträumen in die Schutzzone des elterlichen Schlafzimmers floh. Damals war ihnen das ganz vernünftig erschienen. Damals hatten sie noch überlegt, mehr Kinder zu bekommen, und das Bett schien mit einer Endgültigkeit, die man nur bewundern konnte, zu verkünden, dass sie verheiratet waren. Aber ineinander verliebt hatten sie sich in einem kleinen Zimmer, auf einer schmalen Matratze. Sie hatten so eng aneinandergeschmiegt geschlafen, dass ihre Körperwärme jede Nacht wie ein Geist zur Decke aufstieg, und wenn sie erwachten, war die Steppdecke meist zu Boden gefallen. In diesem Moment, mit so viel Platz zwischen ihnen, waren sie sich viel zu nah.
    Daniel wusste, dass Laura noch wach war. Sie war zum College gefahren, aber kurz darauf schon wieder zurückgekommen, ohne eine Erklärung. Sie hatte kaum mit ihm gesprochen, lediglich ein paar sachliche Informationen hatte sie abgefragt: Hatte Trixie etwas gegessen (nein). Hatte sie etwas gesagt

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