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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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dass man sie gerade in dem Moment überquerte, in dem man am wenigsten damit rechnete. Wenn man sich verliebte, öffnete man eine geheime Tür, um die verwandte Seele hereinzulassen. Und man konnte sich nicht vorstellen, diese Nähe eines Tages als Übergriff zu empfinden.
    Laura starrte auf das Bild. Von Dante abgesehen entschied sich niemand freiwillig, in die Hölle hinabzusteigen. Und selbst Dante hätte sich verlaufen, wenn er keinen ortskundigen Führer gefunden hätte, der die Hölle schon einmal durchschritten hatte.
    Laura holte eine zweite Tasse aus dem Schrank und goss Kaffee ein. Sie hatte keine Ahnung, ob Daniel Milch oder Zucker nahm. Sie gab ein bisschen von beidem hinein, so wie sie es mochte.
    Hoffentlich war das ein Anfang.

    In der letzten Ausgabe des Wizard rangierte Daniel an neunter Stelle in der Liste der besten Comiczeichner. Sein Bild war acht Plätze unter dem lächelnden Gesicht des führenden Jim Lee abgedruckt. Im Vormonat war Daniel Nummer zehn gewesen. Die hoch gespannten Erwartungen, die sein Zehnter Kreis weckte, steigerten seinen Ruhm.
    Genau genommen war es Laura gewesen, die Daniel von seiner wachsenden Berühmtheit erzählt hatte. Sie waren auf einer Weihnachtsfeier bei Marvel in New York eingeladen gewesen, und als sie den Saal betraten, waren sie in dem Gedränge getrennt worden. Später erzählte sie ihm, alle hätten über ihn gesprochen. Daniel , hatte sie gesagt, die Leute kennen dich, keine Frage .
    Als er vor Jahren seinen ersten Probecomic zeichnete – eine fürchterliche Story, die in einem voll besetzten Flugzeug spielte –, hatte er sich noch über Dinge den Kopf zerbrochen, an die er heute keinen Gedanken mehr verschwenden würde: die Minen im Stift, die nicht zu weich sein durften, die Geometrie von Bögen und Kreisen, das Gefühl des Lineals in seiner Hand. Zu Anfang hatte er mehr aus dem Bauch heraus gezeichnet – emotional statt kopflastig. Als er etwa zum allerersten Mal Batman für DC Comics zeichnete, musste er den Helden neu entwerfen. In Daniels Version hatten die Ohrenlänge und Gürtelbreite weniger mit dem historischen Wandel dieser Comicfigur zu tun als vielmehr mit der Erinnerung daran, wie ihm als jungem Batmanfan der Superheld am besten gefallen hatte.
    Heute jedoch brachte ihm das Zeichnen weder Freude noch Erleichterung. Er musste ständig an Trixie denken, fragte sich, wo sie wohl gerade war und ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, dass sie noch nicht angerufen und erzählt hatte, wie es in der Schule lief. Wenn Daniel unruhig war, stand er normalerweise auf und ging durchs Haus oder joggen. Aber Laura war zu Hause – sie musste erst am Nachmittag zur Uni –, und das war Grund genug, sich in seinem Arbeitszimmer zu verkriechen. Es war leichter, sich einem leeren Blatt zu stellen, als nach den richtigen Worten zu suchen, um eine Ehe zu kitten.
    Sein heutiges Projekt war eine Reihe von Höllenbildern mit ehebrecherischen Dämonen – Sündern, die sich im diesseitigen Leben begehrt hatten und im jenseitigen nicht mehr voneinander getrennt werden konnten. Es war absurd, dass er angesichts seiner eigenen Eheprobleme ausgerechnet dieses Motiv zeichnen musste. Er sah einen männlichen und einen weiblichen Torso, die aus einem gemeinsamen Körper wuchsen. Er sah bei beiden je einen Flügel auf dem Rücken. Er sah Klauen, die vorschnellten, um dem Helden das Herz zu stehlen, denn genau so fühlte er sich.
    Daniel machte sich an die Umrisse eines vogelartigen Wesens, halb Mann, halb Frau. Er skizzierte einen Flügel – nein, zu fledermausartig. Er pustete gerade die Radiergummikrümel vom Zeichenpapier, als Laura mit einer Tasse Kaffee in der Hand hereinkam.
    Er legte den Stift aus der Hand und lehnte sich im Sessel zurück. Laura kam fast nie in sein Arbeitszimmer. Die meiste Zeit war sie gar nicht zu Hause. Und wenn doch, war es immer Daniel, der zu ihr ging, nie umgekehrt.
    Â»Was zeichnest du?«, fragte sie und spähte ihm über die Schulter.
    Â»Nichts Gutes.«
    Â»Machst du dir Sorgen wegen Trixie?«
    Daniel rieb sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich kann nicht anders.«
    Sie setzte sich im Schneidersitz zu seinen Füßen. »Ich meine auch dauernd, das Telefon klingelt.« Sie blickte nach unten auf die Tasse Kaffee, als wäre sie selbst erstaunt darüber, sie in der Hand zu halten. »Oh«, sagte

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