Schuldig
sie. »Hier, die ist für dich.«
Sie hatte ihm noch nie Kaffee gebracht. Er mochte Kaffee nicht mal besonders. Aber da saà Laura, eine Hand ausgestreckt, und hielt ihm die dampfende Tasse hin â und in diesem Augenblick stellte Daniel sich vor, wie ihre Finger zwischen seine Rippen stieÃen wie ein Dolch. Er sah einen Flügel zwischen ihren Schulterblättern wachsen, der sie einhüllte wie ein Schal.
»Tust du mir einen Gefallen?«, fragte er und nahm ihr die Tasse aus der Hand. Er holte die Decke, die immer auf der Couch in seinem Büro lag, und legte sie Laura um.
»Meine Güte«, sagte sie. »Ich hab schon ewig nicht mehr für dich Modell gestanden.« Dann fragte sie: »Wofür ist die Decke?«
»Du hast Flügel.«
»Bin ich ein Engel?«
Daniel, der bereits zu zeichnen begonnen hatte, sah kurz auf. »So was in der Art«, sagte er.
Sobald Daniel aufhörte, über die Form nachzugrübeln, entstand der Flügel wie von selbst. Er zeichnete schnell, die Linien lebten auf dem Papier, die Figuren schienen sich zu bewegen. Wenn es so lief, war Kunst wie Atmen. »Heb die Decke ein bisschen an, leg sie dir über den Kopf«, befahl er.
Laura gehorchte.
SchlieÃlich war Daniel fertig. Er legte den Stift weg und betrachtete das Blatt. Die Zeichnung war gut, besser als gut. »Danke«, sagte er, stand auf und nahm Laura die Decke von den Schultern.
Auch sie stand auf und hielt zwei Enden der Decke fest. Sie falteten sie schweigend zusammen, wie Soldaten auf Beerdigungen die Fahne zusammenlegen, die den Sarg bedeckt hat. Als sie sich in der Mitte trafen, wollte Daniel ihr die Decke abnehmen, doch Laura lieà nicht los. Sie lieà ihre Hände über den Rand gleiten, bis sie auf Daniels lagen, hob dann zaghaft den Kopf und küsste ihn.
Er wollte sie nicht berühren. Durch die dämpfende Schicht der Decke hindurch schmiegte sich ihr Körper an seinen. Doch dann erfasste ihn ein Instinkt wie eine gewaltige Welle, und er schlang die Arme so fest um Laura, dass er merkte, wie sie nach Luft rang. Sein Kuss war hungrig, wild, voller Gier auf alles, was ihm gefehlt hatte. Es dauerte einen Moment, und dann erwachte sie in seinen Armen zum Leben, packte sein Hemd mit beiden Händen, zog ihn noch näher, verschlang ihn auf eine Weise, wie sie das vorher nie getan hatte.
Vorher.
Mit einem Stöhnen riss Daniel seinen Mund von ihrem los, vergrub das Gesicht in ihrer Halsbeuge. »Denkst du an ihn?«, flüsterte er.
Laura wurde ganz ruhig, und ihre Arme glitten herab. »Nein«, sagte sie. Ihre Wangen waren gerötet und heiÃ.
Die Decke lag zwischen ihnen auf dem Boden. Daniel sah einen Fleck darauf, der ihm noch nie aufgefallen war. Er bückte sich und hob sie auf. »Ich aber.«
Lauras Augen füllten sich mit Tränen, und gleich darauf ging sie aus dem Zimmer. Als er hörte, wie die Tür sich schloss, sank Daniel in seinen Sessel. Seine Frau hatte ihn betrogen. Es war wie ein kleiner Kratzer in einer glatt polierten Tischplatte â auch wenn man versuchte, nur auf die glänzende Oberfläche zu achten, glitten Augen und Finger doch unaufhaltsam zu dem Makel zurück, der Stelle, die die Vollkommenheit störte.
Es war Viertel nach zwei. Nur noch eine halbe Stunde, bis er Trixie von der Schule abholte. Nur noch eine halbe Stunde, bis sie wieder als Puffer dienen konnte, der ihn und Laura davon abhielt, sich aneinander wund zu reiben.
Daniel stützte das Gesicht auf seine Hände und sah sich die Figur an, die er gezeichnet hatte. Als Halbdämon hatte sie ihren einzigen Flügel um sich geschlungen. Sie war Laura wie aus dem Gesicht geschnitten. Und sie griff nach einem Herzen, das Daniel nicht zeichnen konnte, weil er dessen AusmaÃe schon vor Jahren vergessen hatte.
Jason verpasste das Training. Er saà in dieser piekfeinen Anwaltskanzlei von Yargrove, Bratt & Oosterhaus und überlegte, welche Ãbungen der Coach wohl mit der Mannschaft machte. Sie hatten am nächsten Tag ein Spiel gegen Gray-New Gloucester, und er war für die Startformation vorgesehen.
Trixie war heute wieder in der Schule gewesen. Jason hatte sie nicht gesehen, dafür hatte schon jemand gesorgt, aber Moss und Zephyr und zig andere Freunde waren ihr über den Weg gelaufen. Anscheinend hatte sie sich praktisch den Schädel kahl geschoren. Auf der Fahrt nach Portland hatte er versucht, sich auszumalen,
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