Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schule der Armen

Schule der Armen

Titel: Schule der Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
herauszuschälen. Wie auch die primitiven Völker jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um mit Tanz, Musik, Gelage und Liebe »Feste« zu feiern – mit anderen Worten, um die schmerzhafte Erkenntnis der Sinnlosigkeit des Daseins zu betäuben –, so spielen auch die begabten Schichten der zivilisierten Völker, die Frauen, Kinder und Künstler.
    Auf einer geeigneten Stufe seiner Entwicklung angelangt, erkennt auch der begabte Arme, daß man das Leben nur ertragen kann, wenn man es als eine ununterbrochene, mit wundersamen Möglichkeiten untermischte traumartige Spielgelegenheit auffaßt. Durch eine hochentwickelte Spieltechnik kann er sich dann irgendwie über Wasser halten und bleibt dem Modell ähnlich, das Gott nach seinem eigenen Antlitz geschaffen hat; in Ermangelung dieser Fähigkeit verdummt, verblödet und verkommt der Mensch und unterscheidet sich zuletzt nur noch wenig vom Tier.
    Ich war schon in meiner Jugend ziemlich spielbegabt, und wenn auch das Leben und meine manieartige Sucht, mit Reichen zu verkehren, auf die ich in der Einleitung dieses Buches hingewiesen habe, im Laufe der Jahre meinen Fähigkeiten viel Abbruch getan hat, erkannte ich glücklicherweise noch rechtzeitig, daß mein Leben ewig und unabänderlich im Zeichen der Armut verlaufen würde, und darum begann ich ziemlich früh zu spielen. Die rohen und einfältigen Spiele, mit deren Hilfe die Menschen versuchen, ihre Erbitterung über ihre mäßigen geistigen Fähigkeiten zu neutralisieren, wie Bridge, Sport, Spiritismus und Diabolo, vermied ich möglichst; dagegen suchte ich die Gesellschaft von Dichtern und Frauen, in deren Kreis ich mich schon seit geraumer Zeit stets wohlfühle.
    Wie wir später sehen werden, kann man Kinder, Frauen und Dichter nicht als Arme betrachten; sie leben in einer Sphäre zwischen den Armen und Reichen und nehmen am Leben dieser zwei Stämme nie innig teil; sie lassen sich nur von den Reichen erhalten und veredeln die Armut durch die Poesie, die ihr Wesen ausstrahlt. Als ich erfuhr, daß ich zum Armen geboren war und ewig arm bleiben würde, überfiel mich das gleiche intensive Schmerzgefühl, wie es wohl der Gläubige bei der Nachricht seiner Exkommunikation empfindet; ich fühlte mich wie ein Pestkranker, mied die Menschen, als wäre ich ein Gezeichneter, und klagte meinen Schöpfer an.
    Dem Umgang mit Dichtern und Frauen verdankte ich dann die Wiederherstellung meines seelischen Gleichgewichts, und sofort widmete ich mich mit quälender Neugierde dem Studium der Armut, gleich dem Schwerkranken, der sich nicht mit der Diagnose des untersuchenden Arztes zufrieden gibt, sondern auf der Suche nach ähnlichen Fällen Lexika und ärztliche Fachbücher durchstöbert, in seiner Verzweiflung Kurpfuscher und Magier aufsucht und sogar bereit ist, Wundermittel, was immer sie auch seien, zu schlucken und Zaubersprüche zu murmeln, alles nur, um sich Trost und Hoffnung einzuflößen. Bei dem Gedanken, vielleicht fünfzig bis sechzig Jahre in Armut leben zu müssen, brach kalter Schweiß auf meiner Stirn aus, und die Vorstellung, für ein ganzes Leben zur Armut verurteilt zu sein, nahm mir fast den Verstand.
    In der Jugend trägt der Mensch die Armut viel schwerer als im reiferen Alter. Schon als Kind litt ich unter der Armut. Meine Eltern waren ausübende Arme, das heißt so viel, daß sie ein Dienstmädchen hielten und gelegentlich auch etwas überflüssiges Geld zur Verfügung hatten. Verführt vom Trugschluß, Geld zu besitzen, lebten wir ein eigentümliches Leben, empfingen Gäste, die außer von den Sorgen um das tägliche Brot auch über allerhand andere Dinge sprachen, bestiegen manchmal den Zug, lösten Fahrkarten zweiter Klasse und reisten zur Sommerfrische in zweitklassige Kurorte, wo wir in zweitklassigen Hotels guten Rufs wohnten. Schon die Reise allein verursachte mir Qualen; Kinder und Aristokraten vertragen das Reisen in der zweiten Klasse schlecht. Seit dieser Zeit reise ich mit Vorliebe dritter Klasse, und keine Verlockung irgendwelcher Art könnte mich dazu bewegen, in einem Abteil zweiter Klasse Platz zu nehmen.
    In allem vertrage ich nur das Allerfeinste oder das Allereinfachste, mit einem Wort, das Wahre; anspruchsvoll zu sein gehört auch zu den Methoden der Armen und hilft ihnen, den Zustand der Armut leichter zu ertragen. Im zweitklassigen Hotel des zweitklassigen Kurortes stellte ich überrascht fest, daß es in der Nachbarschaft einen erstklassigen Kurort mit erstklassigen Hotels gab und, so

Weitere Kostenlose Bücher