Schule der Armen
die Menschen in ewige Sklaverei zwingen.
Des Rätsels Lösung ist, daß ich mich der Sklaverei nie unterwarf und selbst den Gedanken, jemandem zu gestatten, über meine Zeit zu verfügen, stets weit von mir wies. Ich betrachtete mich immer als einen freien und unabhängigen Menschen und ging jedem aus dem Weg, der sich weigerte, meine Unabhängigkeit anzuerkennen, oder der meine Freiheit einzuschränken versuchte. Ich gab jedem Menschen, mit dem ich geschäftliche, freundschaftliche oder amouröse Beziehungen anknüpfte, zu verstehen, daß ich nie und für keinen Preis mehr Zeit in seiner Gesellschaft zu verbringen gewillt sei, als mit meiner Auffassung von der Freiheit des Lebens und meinen persönlichen Neigungen zu vereinen ist.
Es ist mir durchaus verständlich, wenn ein Reicher für seinen Reichtum Opfer bringt, der Freiheit entsagt, Einladungen annimmt, telephoniert und Stunden in der Gesellschaft von langweiligen Menschen verbringt oder bis Mitternacht in seiner Bank, über den Schreibtisch gebeugt, arbeitet – denn all dies hat keinen Zweck. Wenn jedoch der Arme nicht einmal frei ist, was für einen Zweck hat dann seine Armut? Entweder ist der Mensch arm oder nicht. Zugegeben – auch zur Armut braucht man Glück.
Das Aufwachen und entsprechend das Aufstehen überlasse ich meinem Nervensystem und nicht der Weckuhr, die, so fein sie auch konstruiert sein mag, nicht ahnen kann, wann ich Lust habe, aufzuwachen. Gleich nach dem Erwachen, und sei es auch nachmittags um vier, sage ich ein kurzes Morgengebet: In diesem locker abgefaßten Gebet erkläre ich sinngemäß meine Lage in der Welt und stelle fest, daß ich ein alleinstehender armer Sterblicher bin und vor allem frei, denn ich bin an niemanden gefühlsmäßig gebunden, weder durch Haß noch durch Liebe. Dann versuche ich, mich meiner Träume zu erinnern, denn die Träume verweisen uns auf Wege, wo sich aus der amorphen Masse der Wirklichkeit seltsame Freuden und Überraschungen entfalten: ein Mensch, den man suchen soll, der Sinn eines vergessenen Wortes, die wahre Folge einer Handlung; und dies macht mir Spaß.
Mit Freude denke ich daran, daß ich geschlafen habe, und zwar genau so viel, wie es mir zukam, denn der Schlaf ist der reinste, der edelste Zustand, der dem Menschen zuteil werden kann. Die vornehmsten Autoren stimmen in dieser Ansicht überein. Der Österreicher Peter Altenberg zum Beispiel, einer der gelehrtesten Schläfer und Armen, bezeichnet jedes willkürliche Aufwecken als ein Attentat auf das Nervensystem.
Und jetzt fange ich an, langsam und angenehm zu leben. Zuerst stelle ich fest, wieviel Geld ich besitze, und wenn keins da ist, was häufig vorkommt, überlege ich mir, ob ich an diesem Tage Lust habe, Geld zu verdienen. Meistens habe ich keine Lust dazu. In diesem Fall beschließe ich, mein Zimmer den ganzen Tag nicht zu verlassen oder zumindest Orte und Gelegenheiten zu meiden, wo ich unausweichlich Geld ausgeben müßte. Dies ist bei einer gewissen Übung leichter, als man es sich gewöhnlich vorstellt; manchmal vergehen Tage, ohne daß ich mehr ausgebe, als ich zur Befriedigung von Bettlern und staatlichen Geldeintreibern unbedingt benötige. Ein anderes Mal beschließe ich, Geld zu verdienen, selbstverständlich nur so viel, wie ich unbedingt brauche, denn zu viel Geld bringt Sorgen und weckt dunkle Triebe.
Dem Geldverdienen trachte ich eine leichte, elegante und unauffällige Note zu verleihen; hierzu gehört ein besonderes Talent, doch möchte ich mich an dieser Stelle nicht ausführlicher darüber auslassen. Am liebsten verdiene ich mein Geld in einer Art, die es dem Geldgeber leicht macht, sich von seinem Geld zu trennen, und bemühe mich, ihm eine anständige Gegenleistung zu bieten. Ich nehme im allgemeinen nur Geld an, das mir in Begleitung von freundlichen Worten und unter Wahrung höflicher und verbindlicher Formen überreicht wird, so daß nachträglich die Transaktion für alle Beteiligten als ein gegenseitiges Beschenken erscheint. Dies gehört zu meinen wenigen Prinzipien, an die ich mich in den verschiedensten Lebenslagen strengstens halte. Mit unhöflichen Worten oder unter demütigenden Bedingungen, ja sogar mit herzloser Gleichgültigkeit gegebenes Geld lehne ich prinzipiell ab und bereue es nie.
Ich empfehle dem Armen sehr die Befolgung meines Rates, daß man Geld nur annehmen darf und soll, welches, wenn schon nicht von Herzen, so doch wenigstens unter Wahrung gewisser Höflichkeitsformen gegeben wird; denn
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