Schule der Armen
auf grob oder unwillig hingeworfenem Geld ruht kein Segen. Ich wenigstens war für eine andere Art nie empfänglich. Soviel vom Geld.
Ich vollbringe, so habe ich es mir ausgedacht, nach dem Beispiel der Pfadfinder täglich eine kleine gute Tat, lasse ihr aber, um das moralische Gleichgewicht nicht zu gefährden, sofort eine kleine Missetat folgen. Dies tue ich aus der Überlegung heraus, daß ein Mensch, der ununterbrochen und bewußt nur Gutes tut, ein Monstrum wäre; übrigens neige ich hierzu, wie gesunde Menschen im allgemeinen, nur wenig. Die feinen und überlegten, harmlosen und symbolischen Missetaten erfüllen mich mit der gleichen Freude wie die erzwungenen, immer ein wenig sentimentalen Wohltaten.
Meinen Tag verbringe ich mit der meiner Meinung nach einzig menschenwürdigen Beschäftigung: der Erforschung der Wahrheit, die mich nebenbei auch ausgezeichnet unterhält. Ich suche die Wahrheit in allen Erscheinungen, in den Beziehungen zu meiner Umgebung, in jedem Wort, ja sogar in den Beziehungen der seelenlosen Gegenstände und den Naturerscheinungen zueinander und in ihrem Verhältnis zum Menschen. Diese Arbeit nimmt mich vollkommen in Anspruch und spornt mich zu gesteigerten sinnlichen Wahrnehmungen an. Seit ich der Gesellschaft den Rücken gewandt habe, vermittelt mir übrigens die Welt ununterbrochen sinnliche Freuden. Eine interessante Erfindung, sei sie auch industrieller Natur, erfüllt mich fast mit der gleichen sinnlichen Freude wie die regennasse Fläche einer betonierten Straße oder eine schöne Frau.
Seit ich für die Wahrheit leben kann und die Erscheinungen auf ihren ureigensten Sinn destilliert zur Kenntnis zu nehmen vermag, unterhält mich im großen und ganzen alles, und seit ich kein Gesellschaftsleben mehr führe, werden Zerstreuungen mir auch zuteil. Es ergibt sich von selbst, daß diese Haltung eine ununterbrochene Bereitschaft, angespannte Wachsamkeit und Widerstandskraft erfordert. Die Anziehungskraft der mächtigen gesellschaftlichen Interessen übt nämlich ihren magnetischen Einfluß auch auf jene aus, die sich den Gesetzen der Gemeinschaft entzogen haben.
Zwischen den verschiedensten Einstellungen des Armen zur Welt fordert die Einsamkeit die meisten Opfer und die allerhöchste Kraftanstrengung. Wie wir gesehen haben, lebt der Arme am liebsten in der Menge. Die berühmten und begabten Armen, die das Dasein im Zustand der Armut erdulden, die Erscheinungen in die Wirklichkeit und die Illusionen in die Wahrheit umdichten, machen sich selten bemerkbar und erwecken stets eine starke Antipathie bei ihren Zeitgenossen, die in der Masse ihr Leben fristen. Schopenhauer, Kant und Nietzsche hielten die Einsamkeit aus, ebenso Pascal. Sokrates, ein sehr ernst zu nehmender Armer, jedoch nicht; er trieb sich den ganzen Tag auf der Agora herum und schwatzte, allerdings nahm er auch ein unrühmliches Ende.
Das gesellschaftliche Leben ist wenig geeignet, den Armen zur Erkenntis der Wahrheit zu verhelfen. Auch die Freundschaft ist ungeeignet. Nur im Zustand der vollkommenen, bewußten und vornehmen Einsamkeit vermag man die Welt auf den Nenner der Wahrheit umzudichten. Wer hierzu unfähig ist, kann vielleicht auf dem Gebiet der Praxis, etwa im Gewerbe, im Handel oder in der bildenden Kunst Ausgezeichnetes leisten, wird jedoch nie Gelegenheit finden, die Wahrheit zu erkennen.
Meine Tage sind erfüllt von jener milden Schadenfreude, die die ununterbrochene Erkenntnis der Wahrheit dem Forscher bietet. Ohne jede Beziehung und Verpflichtung beobachte ich mit klaren und wachsamen Augen tagaus, tagein die Welt. Und wann immer sich eine günstige Gelegenheit bietet, schlummere ich ein und schlafe eine Runde. Die Beobachtung, Erkenntnis und Erduldung der Welt bietet mir, im Rahmen der Armut, sozusagen grenzenlose Freuden. Außer nach der Wahrheit sehne ich mich nach nichts, denn ich habe mich von allem befreit. Es geht auch so, wenn auch sehr schwer. Es ist mir gelungen, die Welt nach meinen eigenen Ansprüchen umzudichten. Ich bin arm, wie ein anderer Urologe ist – beruflich.
Mit dieser erhabenen Anschauung der Umdichtung verbindet sich meine Einstellung zum Tod, der mir so vertraut und gleichgültig geworden ist wie das Leben.
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N ach langwierigen Versuchen und jahrelangen Überlegungen gelang es mir, im Sommer des Jahres 1932 in meiner Wohnung ein Läutewerk anzubringen, welches so konstruiert war, daß mein Dienstmädchen mich zu jeder Tages- und Nachtstunde anklingeln konnte, ich sie jedoch
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