Schule der Lüfte wolkenreiter1
der Ziegenhirtin hochhelfen?«
Anabel lachte und nahm Larks linken Arm, Hester ergriff ihren rechten, und so hoben die beiden Mädchen sie hoch über die Köpfe der anderen. Lark kicherte, und die Leute drehten sich mit finsterem Blick zu ihnen um, bis sie die Uniform der Mädchen erkannten. Ein oder zwei lächelten und nickten nachsichtig. Niemand sprach mit ihnen. Auf die Arme ihrer Freundinnen gestützt, blickte Lark über den Platz und entdeckte Baronin Beeht, die gerade die Treppen zum Winterturm hinaufschritt. Hinter ihr folgte ein kleiner dicker Mann und dahinter ein großer, junger Mann mit breiten Schultern.
»Oh!«, sagte sie. »Ist das Grahms mit dem hohen Hut?«
»Ja. Das ist mein Bruder.«
»Oh, ja, er ist sehr hübsch, Hester!«
»Das ist er. Grahms hat die ganze Schönheit der Familie abbekommen«, erklärte Hester ironisch.
Lark wollte gerade dagegen protestieren, als ein anderes Gesicht ihre Aufmerksamkeit gefangen nahm. Sie hatte dieses alte Weib mit den grauen Strähnen, die unter einem
abgetragenen Strohhut hervorlugten, ganz sicher schon einmal gesehen. Aber wo? Lark dachte nach und vergaß darüber, Grahms Beeht zu bewundern. Irgendwie stand die alte Frau mit dem Hochland in Verbindung, mit zu Hause, aber sie konnte sich nicht an mehr erinnern.
Einen Augenblick später ließen die Mädchen sie wieder herunter. Da schrie die Menge leise auf, und alle Gesichter richteten sich gen Himmel. Als Lark dem Blick der anderen folgte, dachte sie nicht länger an die alte Frau.
Aus westlicher Richtung, dort, wo der Fürstenpalast lag, flog eine Doppelreihe geflügelter Pferde auf den Turm der Zeiten zu. Die drei Mädchen legten die Köpfe in den Nacken, hielten sich an den Händen und erstarrten fast vor Neid und Stolz bei diesem wundervollen Anblick.
Zwischen der Straße und der Treppe zum Turm bildete sich eine Gasse. Ein schwarzer Rappe mit Scheuklappen, dessen Geschirr mit schwarzen und silbernen Bändern umwickelt war, zog klappernd einen leeren Karren über das Pflaster. An den Ecken des Karrens flatterten schwarz silberne Wimpel. Die geflügelten Pferde breiteten die Schwingen aus, segelten in zwei großartigen Doppelreihen über den Platz und umkreisten dann gemessen den Turm. Atemlose Stille breitete sich aus.
»Oh«, flüsterte Lark. »Seht nur Wintersonne!«
Die rotbraune Stute schwebte in Quadraten am höchsten Punkt, mitten über der Kupferkuppel. Ihre Flügelschläge waren elegant, und Hals und Kopf bildeten eine perfekte Linie. Die schlanke schwarze Gestalt von Meisterin Winter saß unbeweglich wie eine Statue auf dem Pferd. Lark ging bei ihrem Anblick fast das Herz über. Sie waren zwar zu hoch, als dass sie Einzelheiten hätte erkennen können, doch sie stellte sich das scharf geschnittene Profil von
Meisterin Winter vor dem klaren blauen Himmel vor, wie sie die Zügel ruhig in den behandschuhten Händen hielt, sah ihren geraden Rücken und den hoch erhobenen Kopf vor sich. Tränen der Bewunderung stiegen Lark in die Augen und tauchten die ganze Szenerie in einen goldenen Schleier.
Meisterin Winter gab ein Zeichen mit ihrer Gerte, woraufhin die gesamte Fliegergruppe eine halbe Drehung vollführte. Die Menge schnappte nach Luft, als der große Kreis der fliegenden Pferde sich auflöste, sich wie eine Blüte öffnete, jedes Pferd vom Turm wegflog, dann drehte und seinen Platz in den neu formierten Offenen Kolonnen fand. Schließlich schwenkte die gesamte Gruppe zum Fürstenpalast ab. Dort würden sie landen und warten, bis die Gedenkfeier vorüber war. Dann würden sie zurückkehren, um den Beerdigungszug von Oscham zum Friedhof des Palastes zu begleiten, auf dem die Fürsten von Oc seit Jahrhunderten ihre letzte Ruhestätte fanden.
Ein tiefer Seufzer aus der Menge ertönte, als die geflügelten Pferde die Stadt verließen.
»Stellt euch vor! Eines Tages gehören wir auch dazu«, schwärmte Anabel.
»Dann sollten wir uns daran erinnern, wie wundervoll es von unten aussieht«, sagte Hester.
Als das letzte Pferd im Westen verschwunden war, wurden überall auf dem Platz die Gespräche wieder aufgenommen, und die Menge begann sich zu zerstreuen. »Das kann jetzt noch Stunden dauern«, meinte Hester.
Anabel zog eine kleine Börse aus ihrer Tasche. »Mein Onkel hat mir ein bisschen Geld geschickt. Suchen wir einen Teeladen«, schlug sie vor.
Sie wählten einen Laden mit geblümten Vorhängen und
gepolsterten Stühlen, wo sie hellen Tee und Teller mit sü ßen Rosinenbrötchen
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