Schule der Lüfte wolkenreiter1
berauscht gewesen von Tups wunderschönen, kräftigen Flügeln, der Haltung seines schlanken Halses, seinem geschmeidigen Flug. Es war einfach herrlich zu fliegen.
Erst jetzt, als sie die Landschaft unter sich vorbeisausen sah, sank ihr Mut. Wohin flogen sie? Und wie sollte sie wissen, ob Tup sicher landen konnte?
Er flog auf die Berge im Westen zu, über Dörfer, Straßen und Hecken, die im Mondlicht silbern schimmerten. Lark fragte sich, wie lange Tup sicher in der Luft bleiben konnte. Wenn er nun müde oder sie ihm zu schwer wurde?
Noch schien ihm ihr geringes Gewicht nichts auszumachen. Als die Berge vor ihnen auftauchten, stieg er ohne Anstrengung noch höher hinauf. Er schlug sicher mit den Flügeln, und auch wenn sein Körper wärmer wurde, atmete er in der kühlen Luft kräftig und gleichmäßig.
Lark wusste jedoch, dass sie Tups Gleichgewichtssinn beeinflusste, vor allem bei der Landung. Sie versuchte sich verzweifelt zu erinnern, was sie im Unterricht gelernt oder von dem aufgeschnappt hatte, was die anderen Pferdemeisterinnen den neuen Fliegerinnen erklärt hatten. Gewicht nach unten. Hacken nach innen. Hände tief, den Rücken gerade, aber nicht versteifen. Sie wusste, dass sie sich mit Waden und Schenkeln festhalten musste. Aber gehörte das Kinn runter oder sollte sie es hochnehmen? Und sollte sie ihr Gewicht nach vorn oder nach hinten verlagern? Sie konnte sich einfach nicht erinnern. Natürlich musste jede Reiterin eine Landung zum ersten Mal probieren, aber das geschah gewöhnlich in der Akademie, auf der Landekoppel, deren Boden glatt und weich war, wo jedes Loch sofort aufgefüllt wurde und die Platzwarte dafür sorgten,
dass das Gras dicht stand. Außerdem waren diese Fliegerinnen frisch, hatten nur kurze Flüge hinter sich, die ihre Pferde nicht ermüdeten, und natürlich begleiteten sie die Pferdemeisterinnen und passten auf sie auf.
Während Tup weiter Richtung Westen flog, versuchte Lark ihre Sorgen zu verdrängen. Ändern konnte sie jetzt sowieso nichts mehr daran. Sie mussten irgendwann auf den Boden zurückkehren, und sie hoffte inständig, dass Tup eine gute Idee hatte, wo er landen wollte.
Je länger sie flogen, desto weniger Häuser sahen sie. Die Felder wurden größer, die Straßen länger und schmaler. Der Mond schien vor ihnen zu fliehen, und noch während sie ihn verfolgten, machte er Anstalten, im Westen unterzugehen. Die Luft kühlte deutlich ab, und Lark taten Beine und Finger weh. Sie versuchte, ihre Anspannung ein bisschen zu lockern, und dabei stellte sie fest, dass sie sich vollkommen sicher auf Tup fühlte. Trotzdem klammerte sie sich in seine Mähne und drückte ihre Hacken fest gegen seine Rippen. Wenn sie aus dieser Höhe von ihm herunterfiel, würde das ihr Ende bedeuten und seines auch.
Nach einer Weile wurde sie beinahe euphorisch vor Erschöpfung. Sie hatte zwei Nächte nicht geschlafen und hatte gestern überhaupt nichts gegessen. Sie hoffte, dass Tup zumindest Hafer bekommen hatte und vielleicht ein bisschen Heu. Sie begann am ganzen Körper zu zittern. Vorsichtig spähte sie über Tups Schulter hinunter auf den Boden. Die Anordnung der Straße, des Weges, der von ihr abging, und einer Hecke kamen ihr vage bekannt vor. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, stellte sich vor, wie es vom Boden statt aus der Luft wirken würde.
Plötzlich setzten sich die Mosaiksteinchen zu einem Ganzen
zusammen, Bilder und Erinnerungen fügten sich zu einer Landschaft, die sie so gut kannte wie ihr eigenes Gesicht. Tup war ins Hochland geflogen. Sein Orientierungssinn war so zuverlässig wie der eines Zugvogels, der nach Hause flog. Der blasse Schein des Mondes spiegelte sich in vereinzelten Fensterscheiben, und noch ein bisschen weiter südlich lag der Ortskern von Park Dikkers. Und weiter vorn, im Norden, da lagen die ruhigen Straßen und die bescheidenen Häuser von Willakhiep. Kurz darauf entdeckte Lark die Abzweigung des Weges, der zum Unteren Hof führte. Der Küchengarten, das Haus mit seinem schiefen Dach, der Hof, die weiß getünchte Scheune, all das leuchtete im Licht des untergehenden Mondes. Sie war zu Hause.
Aber … wo sollte Tup landen? Hier gab es keine Landekoppel. Es gab nur das Blutrübenfeld, auf dem kniehohe Frühlingssetzlinge standen. Und die groben Furchen, in denen Schilfgras wuchs. Und der Weg aus festgetretenem Lehm.
Es schien, als wolle Tup genauso landen, wie Wintersonne es an jenem
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