Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
Vom Netzwerk:
gern mit dir«, sagte Alice Kirkland, »weil das immer so bildend ist.«
    »Ich frage mich wirklich, warum nicht jemand über ihn eine Sittenkomödie geschrieben hat«, sagte Betsy. »Ganz zu schweigen von dem Jungen, auf den er sich immer stützt – in jedem Stück wieder, der Junge hat nie auch nur die geringste Chance, den Mund aufzumachen, wie der Schlagmann im Baseballteam.«
    »Nun sag uns schon, was ›androgyn‹ bedeutet«, sagte Angelica.
    »Das ist typisch Angelica, die jüdische Mutter – hör auf damit, Angie«, sagte Freemond Oliver. »Sie hat für die Schauspielgruppe eine Parodie geschrieben: Die Heilige Maria und die Heilige Elisabeth als jüdische Mütter. Es war ganz lustig, das gebe ich ja zu, aber wir wollen doch keine Gewohnheit daraus machen, o.k. Angie?« Ihr Blick, wie auch der von Kate, lag auf Elizabeth, die verlegen wirkte.
    »O.k. Oliver, also – wie definierst du ›androgyn‹?«
    »Beide, Mann und Frau«, sagte Betsy Stark, »vereinen Elemente beider Geschlechter in sich; wenn eines davon dominiert, hat man Glück gehabt, und wenn eines davon zu sehr die Oberhand gewinnt, hat man Pech gehabt und landet in einem Nähkränzchen oder auf der Elchjagd. Shaw nannte das männliche Männer und weibliche Frauen, aber lassen wir das beiseite. Tiresias war tatsächlich Mann und Frau zugleich, und daher der einzige Mensch, der schildern konnte, wie beide Geschlechter sich fühlen, eine beneidenswerte Situation, oder?« Großer Gott, dachte Kate, aus ihr kann etwas werden, wenn sie es nicht zu sehr forciert und dadurch verliert. Noch ein Grund, nicht die ganz Kleinen zu unterrichten – man sieht soviel Vielversprechendes, und der größte Teil davon ist verschwunden, bevor die „Weisheitszähne gewachsen sind.
    »Nun«, fuhr Betsy fort, »Hera und Zeus gerieten sich eines Tages in die Haare darüber, wer das Küssen mehr genießt; Zeus sagte, die Frau, und Hera sagte, der Mann. Also beschlossen sie, den alten Tiresias zu fragen, der es ja wissen mußte.«
    Am Höhepunkt ihrer Geschichte legte sie eine kleine Kunstpause ein.
    »Uuuund?« fragte Elizabeth und brachte alle zum Lachen.
    »Und Tiresias sagte, es wären die Frauen. Hera wurde so wütend, daß sie ihn blendete. Zeus konnte das nicht ungeschehen machen, weil kein Gott den Spruch eines anderen Gottes aufheben kann, aber zum Trost verlieh er Tiresias die Gabe der Weissagung. Ich hielt das immer für eine sehr bescheidene Entschädigung; schließlich muß er sich in jedem Stück von diesem Knaben führen und von allen Hauptfiguren anschreien lassen. Natürlich hat er dabei«, schloß sie, »die Befriedigung, immer im Recht zu sein.«
    »Danke, Betsy«, sagte Kate, die ein Stichwort immer sofort erkannte. »Wenn jemand noch kein Thema hat, sollten wir noch kurz darüber sprechen. Das nächste Mal werde ich den Plan verteilen, und ihr bringt die Gedichte mit. Macht Kopien von euren Gedichten, damit jeder ein Exemplar bekommt.«
    »Um Gottes willen, ich will nicht, daß jemand meins zu Gesicht bekommt«, sagte Alice Kirkland.
    Kate verkniff sich tapfer eine Anspielung auf Alices unhöflichen Satz vom Beginn der Stunde. »Der Grundgedanke eines Seminars ist der, daß wir alles miteinander diskutieren lernen«, sagte sie in höchst pädagogischem Tonfall, »ohne dabei unsere persönlichen Eitelkeiten mit ins Spiel zu bringen. Das ist unmöglich, ich weiß, aber unser Ziel muß unsere Möglichkeiten übersteigen. Wozu sollten Seminare sonst gut sein?« Sie beendete rasch den Unterricht, bevor jemand versuchen konnte, auf diese Frage zu antworten.

Kapitel Fünf
    D er Februar mit seinem Wechsel zwischen Frost und trügerischen Frühlingsversprechen wich dem März, der noch mehr versprach und noch weniger Glauben fand. Die Leute erinnerten einander daran, daß der Blizzard von 1888 im März gewesen sei, ja Mitte März sogar. Mrs. Johnson lag noch immer zu Hause in ihrem Streckbett und war geradezu versessen auf Ablenkung; sie freute sich auf Kates Bericht vom ›Antigone‹ - Seminar.
    »Arbeiten Sie eigentlich mit der Übersetzung von Jebb?« fragte sie Kate, als diese sie besuchte.
    »Ja, obwohl wir mindestens drei andere zum Vergleich gelesen und diskutiert haben. Es ist wirklich merkwürdig, daß ich Jebb den Vorzug gebe trotz all seiner veralteten Anredeformen, seiner Verben mit ungewöhnlichen Endungen und all dieser Inversionssätze – alle reden, wie vermutlich Engländer zu Antigones Zeiten geredet hätten, hätte es eine englische

Weitere Kostenlose Bücher