Schule für höhere Töchter
habe befürchtet, daß Sie das fragen würden. Nein, nicht daß ich darauf nicht antworten wollte; irgendwie macht es immer Spaß, ein Bild mit ätzenden Farben zu malen, es beruhigt die Nerven, wenn man eklig ist und zugleich vollkommen recht hat. Schwierig daran ist nur, daß es vielleicht so scheint, als ließe man sich von der Leidenschaft der eigenen Worte davontragen. Kurz gesagt, sie war ein Miststück, und wenn die Hunde sie fertiggemacht haben, dann verdienen sie dafür einen Monat lang so viel bestes Steakfleisch, wie sie nur fressen können. Kann ich jetzt davonrauschen?«
»Natürlich nicht. Erzähl weiter.«
»Sie hatte vor allem Angst, nicht nur vorm Fliegen, vor schnellen Autos und Aufzügen, in denen man selbst die Knöpfe drücken muß, Straßen und geschlossenen Räumen und Höhe und Gift und ansteckenden Krankheiten; all diese Ängste sind mehr oder weniger rational, zumindest, wenn sie nacheinander auftreten; aber daß ein Einbrecher zwei Schlösser aufbricht, wenn man zwei hat und drei, wenn man drei hat, oder daß der Mann, der die Brückenmaut kassiert, versuchen könnte, die Hand festzuhalten oder sie mit einer Hautkrankheit anzustecken; daß die Sonne ihr Sommersprossen macht, daß sie durch eine Bluttransfusion von einem Neger schwarz wird, daß – da haben wir es schon. Ich klinge, als würde ich übertreiben; noch tue ich das nicht, aber vielleicht bald.«
»Sie hatte Angst vor Hunden?«
»Großer Gott, ja. Nicht nur, daß sie beißen, nein, sie übertragen auch Krankheiten, und wenn ein Hund einen leckt, bekommt man wahrscheinlich noch am selben Tag Hepatitis, Gürtelrose und die afrikanische Schlafkrankheit.«
»Das klingt wirklich ziemlich schrecklich. Hat sie Angelica geliebt?«
»Sie gehörte zu den Frauen, die auf die eigene Tochter eifersüchtig sind, wie man es aus Bette-Davis-Filmen kennt. Aber bei ihr traf das wirklich zu.«
»Ich vermute, sie hat sich selbst als femme fatale gesehen.«
»Als Sexobjekt par excellence. Wenn ihr Haar mal nicht richtig gefärbt, toupiert und gesprayt war, hielten die Sterne auf ihrer Umlaufbahn inne, zumindest hätte sie das aus Mitgefühl von ihnen erwartet. Sie hatte soviel Stroh im Kopf, daß jeder Bauer sein Vieh ein Jahrzehnt damit hätte ernähren können. Und wenn eines ihrer Kinder irgend etwas mit ihr besprechen wollte, schützte sie entweder eine Herzattacke vor oder bekam einen hysterischen Anfall, je nachdem wieviel Energie sie zu dem Zeitpunkt erübrigen konnte.«
»Aber sie hatte wirklich etwas am Herzen.«
»Wenn Sie es sagen.«
»Ihr Arzt hat es gesagt, und zwar nachdrücklich. Man hat es der Polizei ganz offiziell mitgeteilt, aber die hat es bei der Autopsie auch festgestellt.«
»Ja. Wenn man immer ›Feuer‹ schreit, dann kommt die Feuerwehr eines Tages nicht mehr, und das ist wohl der Knackpunkt der Geschichte, oder?«
»Es ist offensichtlich der Knackpunkt dieser Geschichte.«
»Ich weiß, daß sie tatsächlich einmal wegen ihrer sogenannten Herzattacken, wie Angelica und Patrick das immer genannt haben, in einer Klinik war. Ich denke, sie haben es ihr einfach nicht geglaubt, obwohl es vielleicht stimmte.«
»Offensichtlich war ihr Zustand schlimmer, als die Ärzte ihr zu sagen wagten. Ich meine, wenn es schon möglich war, sie zu Tode zu erschrecken, dann war es immerhin nicht notwendig, sie durch die bloße Mitteilung ihres Zustands umzubringen. Sie gehörte wohl zu den Menschen, die die Wahrheit gar nicht wissen wollen.«
»Kaum, aber ich glaube, sie hätte die Wahrheit nicht einmal in ihrer einfachsten arithmetischen Form erkannt. Damit meine ich«, fügte Betsy offenbar in dem Gefühl hinzu, dies genauer erklären zu müssen, »zwei und zwei ergab stets die Summe, die sie wollte. Verdammt, sie war ein Monstrum, das steht außer Frage. Natürlich haben wir alle Probleme mit unseren Müttern«, sagte Betsy in einem Ton, als stelle sie fest, daß alle zwei Arme und zwei Beine haben, »aber Angelicas Mutter war nicht einmal zu einem Minimum an Verläßlichkeit fähig. Sie erlaubte Angelica, Freundinnen über Nacht einzuladen, und dann bekam sie vor deren Augen einen Wutanfall deswegen. Ich weiß nicht, aber das Schlimmste war, daß sie versucht hat, einen Keil zwischen Angelica und ihren Bruder und ihren Großvater zu treiben; allen dreien ist es, glaube ich, zu verdanken, daß ihr – der Mutter – das nie gelungen ist.«
»Sie haben alle beim Großvater gelebt, stimmt das?«
»Ja. Er wollte es so, und so
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