Schule für höhere Töchter
kurz vor acht morgens im Theban ankam und in ihrem Büro für diejenigen zu erreichen war, für die sie erreichbar sein wollte und die sich zuvor in der Telefonzentrale bei Miss Strikeland angemeldet hatten; Miss Strikeland kam stets wenige Minuten vor Miss Tyringham. Trotz schlechtem Wetter, Streik oder Stromausfall war Miss Strikeland nur ein einziges Mal nicht rechtzeitig erschienen; damals war der Bus, mit dem sie quer durch die Stadt kam, so zusammengebrochen, daß der Fahrer nicht einmal die Türen öffnen konnte. Miss Tyringham hatte auf diese untypische Verspätung so beunruhigt reagiert, daß sie sich, sichtlich verwirrt, selbst in die Telefonzentrale setzte, in der Hoffnung auf eine Nachricht. An diesem Morgen jedenfalls war Miss Strikeland an ihrem Platz und stellte Kate sofort durch.
»Wie geht es Ihnen«, ertönte Miss Tyringhams erfreute Stimme. »Ich habe gehört, Ihr charmanter Mann hat sich unseren bedrohlichen Bestien mit lobenswerter Kaltblütigkeit gestellt. Mr. O’Hara ist außer sich vor Bewunderung und hält die Ehre aller Hunde für gerettet. Wieweit hilft uns das bei unseren sonstigen Problemen?«
»Das weiß ich noch nicht«, sagte Kate, »aber ich habe eine Unmenge von Theorien und werde sicher keine ruhige Minute haben, bevor ich sie nicht alle geprüft habe. Dafür brauche ich Ihre Zustimmung oder zumindest Ihre stillschweigende Duldung.«
»Warum kommen Sie nicht gleich heute früh vorbei? Ich werde zwei Termine absagen müssen, aber das ist nichts Ungewöhnliches. Wie lange wird es dauern?«
»Nun, wahrscheinlich nicht allzu lange. Es tut mir leid, damit einen Schultag zu stören, aber ich bestehe darauf, diese Angelegenheit irgendwie zu einem Ende zu bringen, weil ich an nichts anderes mehr denken kann. Ich wußte zwar, daß das ›Antigone‹ - Seminar meine Arbeit über die Viktorianer beeinträchtigen, nicht aber, daß es mich in so fieberhafte Aufregung versetzen würde. Reed meint, der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, sei, ihr nachzugeben; ich hoffe, er hat recht.«
»Meinen Sie, er hätte vielleicht recht gehabt, als er uns riet, die ganze Untersuchung sein zu lassen?«
»Nun, er hatte ganz bestimmt damit recht, daß man nicht auf halbem Wege stehenbleiben kann. Also um neun?« Kate legte auf.
Sie beschloß, zu Fuß zum Theban zu gehen, da sie noch reichlich Zeit hatte, Taxis um diese Uhrzeit unmöglich zu bekommen und die Busse überfüllt waren; ein Spaziergang würde ihr zu einem klaren Kopf verhelfen. Sie wollte Ordnung in ihre verworrenen Gefühle bringen. Nach ihrem Gespräch mit Reed am Abend zuvor waren nicht mehr viele Zweifel übriggeblieben darüber, was an dem Abend geschehen war, bevor die Leiche auf so mysteriöse Weise im Theban aufgetaucht war. Natürlich blieben noch viele Einzelheiten zu klären. Mühsame Kleinarbeit stand bevor, die nur durch glückliche Umstände zum Teil beschleunigt werden konnte. Das Aufdecken verborgener Ereignisse gleicht der Suche nach einem verlegten Dokument, das man auf der Stelle braucht. Es kann am ersten Platz liegen, an dem man nachschaut, oder man muß in jeder Ecke, in jedem Ordner suchen, den man hat, aber wenn das Dokument da ist, wird man es finden, und das ist schließlich das Wichtigste.
Was Kate beunruhigte, war die Frage, ob es für das Theban oder die Jablons besser wäre, die Untersuchungen würden nicht weitergeführt. Ja, konnte eine Institution oder eine Familie oder eine Beziehung den Druck einer derart schwierigen Situation überhaupt überleben?
In früheren Zeiten kehrte man nur gelegentlich zu den Bildungsstätten zurück, an denen man seinen akademischen Abschluß gemacht hatte; tat man es aber, dann immer mit der Gewißheit, Frieden zu finden. Man dachte immer, könnte ich nur hierher zurückkehren, wo alles in geordneten Bahnen verläuft und die Verhältnisse noch stimmen. Aber wo gab es heute noch solche Orte? fragte sich Kate. Was auch immer diese Leiche oder zuvor den Jungen ins Theban gebracht hatte – durch diese Tat war das Bild der Schule als Ort des Friedens für immer zerstört. Hunde durchsuchten die Räume, und Tote und Verängstigte bevölkerten das Gebäude.
Das Theban lag an einer dieser bezaubernden Seitenstraßen, die seit früheren, glücklicheren Zeiten unverändert scheinen. Das ist natürlich eine Illusion, da fast alle Stadthäuser in Apartments aufgeteilt worden sind, oder sogar in Büros. Dennoch war die Straße ruhig, luftig und gesäumt von Bäumen; in
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