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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Schullaufbahn auf dem Spiel, ein Rausschmiss war fast unausweichlich und so hatte er keine andere Wahl mehr, als seinem Vater endlich die täglichen Peinigungen einzugestehen. Nach einem erneuten Elterngespräch änderte sich das Verhalten der Lehrer schlagartig. Sie vermieden die öffentliche Bloßstellung Pauls vor der Klasse   – immerhin ein Anfang. Allerdings endete die Problemlösung mit diesem Schritt. Eine Verknüpfung der Ereignisse des Mobbings und unser aller Leistung im Unterricht seitens der Lehrer fand nie statt. Die Gesamtsituation innerhalb der Klasse wurde nur sporadisch thematisiert und unfassbarerweise wurden keinerlei Sanktionen für die Peiniger ausgesprochen.
    Drei Schüler mit akuter Selbstmordgefahr? Augen zu. Schüler, die die Situation nicht mehr ertragen, berichten über eklatante Missstände und Verhältnisse innerhalb der Klasse? Augen zu. Parallelklassen berichten über dieselben Missstände? Augen zu. Das sadistische Verhalten von Herrn M.? Augen zu. Die Strategie, Probleme zu ignorieren, bis sie sich selber »lösen«, entspricht zwar nicht dem Auftrag und den Pflichten eines Lehrers, funktioniert aber mit Sicherheit. Und dabei handelte es sich um ein normales Gymnasium in einem Berliner Bezirk, der mit Sicherheit nicht zu den Problembezirken gehört.
    Tatsächlich beging eine Mitschülerin Selbstmord. Das sollte ich allerdings nur zufällig und viel später erfahren, als ich während meines Volontariats nach dem Abitur einen Bericht über eine ehemalige Schülerin im Fernsehen sah. Ich erkannte sie sofort. Sie hatte sich im Internet mit einem anderen unbekannten suizidgefährdeten Schüler verabredet, um sich gemeinsam mit ihm das Leben zu nehmen. Der Selbstmord geschah ein paar Jahre nach den Erfahrungen in dieser Klasse und Schule. Ob es einen direkten Zusammenhang gibt, kann ich nicht beurteilen, doch geholfen hat die damalige Situation sicherlich nicht.
    Paul schaffte übrigens die 11.   Klasse nicht und musste sie wiederholen. Er hatte wohl Glück mit der neuen Klassengemeinschaft, denn hier gab es niemanden, der ihn täglich drangsalierte   – und siehe da, alle seine Noten verbesserten sich schlagartig. Die Hetzer wurden in kompletter Besetzung in die Klasse 12 versetzt und niemals für ihr Verhalten zur Verantwortung gezogen. An dieser Schule wurden Psychoterror und Mobbing stillschweigend geduldet, es gab niemanden, der einem im Ernstfall zur Seite stand, und es gab keinerlei Sanktionen für Mobber. Die gehörten übrigens zum oberen Drittel der Klasse, wenn man nach den Noten geht. Sie hatten es geschafft, die Mehrzahl der Klasse so zu zermürben oder einzuschüchtern, dass sie unter den wenigen waren, die sich überhaupt noch mündlich beteiligten.
    Und wie sieht es heute aus? Viele Eltern sind sich der brenzligen Situation in der Schule und Grundschule bewusst und scheuen weder Kosten noch lange Schulwege, um es ihren Kindern zu ermöglichen, auf einer halbwegs akzeptablen Schule unterrichtet zu werden. Eltern werden in Deutschland gezwungen, selber äußerst kreative Lösungsansätze zu entwickeln und umzusetzen. ›Der Spiegel‹ berichtet in einem Artikel 5 aus dem Jahr 2007 von Familien, die in bestimmten Bezirken Berlins lediglich zum Schein Wohnungen anmieten, sodass ihre Sprösslinge auf eine der dortigen Schulen gehen können. In Deutschlands Hauptstadt bringen Eltern, »abgeschreckt von Horrormeldungen über abgezogene und verprügelte Grundschüler und Klassen, in denen kaum ein Kind die deutsche Sprache beherrscht (…), ihren Nachwuchs aus den Schulen der Problemkieze. Dort würden, so die begründete Sorge, den Knirpsen schon früh Lebenschancen verhagelt« 6 . Seinem Kind durch einen vorgetäuschten Umzug eine bessere Schulausbildung zu ermöglichen, ist nach derzeitiger Rechtslage illegal. Die Ratlosigkeit der Politik tut ein Übriges, um die Situation noch anzuheizen. »Behörden halten dagegen am Sprengelprinzip fest, wonach grundsätzlich der Besuch der nahe gelegenen Grundschule verpflichtend ist. In dem Streit wird mit harten juristischen Bandagen gekämpft   – und mit allerlei Tricks. Eltern geben falsche Adressen an, erfinden Tagesmütter und Arbeitswege. Das Schul-Schummeln ist vielerorts längst Massensport.« 7
    Ein Jahr zuvor, im Jahre 2006, interviewte der ›Spiegel‹ den scheidenden Direktor der Berliner Rütli-Schule, Helmut Hochschild. Wieder ging es um Gewalt, Problembezirke und ein krankes System. Titelstory aus demselben Jahr der

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