Schule versagt
Ausgabe 14: »Gewalt im Klassenzimmer«. Das Magazin ›Focus-Schule‹ berichtete im Jahr 2009, dass schätzungsweise neunhunderttausend Schüler im deutschsprachigen Raum von Lehrer-Mobbing betroffen seien 8 und dass bereits in fast jeder Grundschulklasse verhaltensauffällige Kinder sitzen 9 . Das führe zu gezielten Mobbing-Attacken schon in der Grundschule 10 , so das Magazin im Jahr 2008. Meine persönlichen Erfahrungen mit Mobbing stammen aus den 1990er-Jahren und erstreckten sich fast über das gesamte Jahrzehnt. Mein Vater erzählte mir aus seiner Schulzeit von gezielten Lehrer-Schüler-Kämpfen, die bis zu Ohrfeigen gegen Schüler eskalierten – das war in den 1960ern.
Nach meinen Erfahrungen wird oft völlig unnötig auf beiden Seiten Energie und Potenzial verschwendet. Die Leistungsbereitschaft der Schüler steht in direktem Zusammenhang mit dem Verhalten des Lehrers, der sie unterrichtet. Das Leistungsspektrum des Schülers muss hierbei nicht linear verlaufen, sondern weist oft extreme Sprünge auf. Ein Schüler kann bei Lehrer A eine Koryphäe sein und bei Lehrer B ein Totalverweigerer. »Ich komme einfach nicht an den ran!«, wird Lehrer B dann erklären und schlussfolgern, dass das ausschließlich an dem betreffenden Schüler liegen müsse, während fragwürdiges Verhalten seitens des Lehrers per se sofort ausgeschlossen wird. Ironischerweise sieht es auf dem anderen Ende des Leistungsspektrums erfahrungsgemäß nicht viel besser aus – dort verkehren sich dann nur die Vorzeichen. Sollte es doch einmal vorkommen, dass Schüler es wagen, tatsächlich Leistung zu bringen, Ziele zu haben und sie aktiv zu verfolgen, greift sofort die regelnde Kraft der Missgunst der Mitschüler und teilweise auch der Lehrer ein. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Stur auswendig lernende Schüler sind willkommen, doch innovatives und eigenständiges Denken darf nicht sein. Eine andere Meinung als die des Lehrers zu artikulieren ist ebenso riskant, wie für ein Fach tatsächlich Begeisterung zu empfinden. Im ersten Fall wird der »Querulant« vom Lehrermittels Notenvergabe und im zweiten Fall der »Streber« durch die Klassendynamik sanktioniert.
Die »Anerkennung« der Mitschüler, »cool sein«, »dazugehören«, ein Teil der Masse zu sein, ist einer der zentralen Aspekte des Schülerdaseins. Im Amerika der 90er-Jahre bildeten sich in Marketingfirmen ganze Abteilungen von »Cool Hunters 11 «, deren einzige Aufgabe es war zu sehen, was an Schulen als »hip« galt, um diese Informationen dann an ihre Auftraggeber zu verkaufen. Neue feingetunte Produkte waren das Ergebnis – Schaffung des Dazugehörigkeitsgefühls für Schüler inklusive. Kristina Nolte geht sogar so weit, den Kampf um Anerkennung als den zentralen Antrieb des Menschen zu bezeichnen 12 . Sie, genauso wie die amerikanischen Marketingfirmen, identifiziert sog. ›Gatekeeper‹, also Schlüsselpersonen oder auch Entscheidungsbeeinflusser, die Stimmungen und Verhalten in Klassenräumen auslösen und vorgeben können. Dasselbe Prinzip, das bei Turnschuhen und Jeans zum Tragen kommt, wirkt auch bei der Leistungserbringung. Ist es »hip«, Leistung zu bringen? Sätze wie: »Ich hab’ kein’ Bock auf Hausaufgaben«, oder »Bist du bescheuert, ich hab’ nichts gemacht für das Fach«, fallen nicht selten in deutschen Klassenzimmern. Sich in Nichtleistungsbereitschaft zu überbieten war zentraler Bestandteil eines verqueren Wettbewerbs in unserer Klasse in den Jahrgangsstufen 7 bis 11 – Parallelklassen eingeschlossen. Wer am lautesten schrie, dass er nichts getan hatte und »auf alles scheißt«, hatte gewonnen. »Der Mensch begehrt das, was (…) in den Augen einiger oder aller anderen einen Wert besitzt.« 13 Wofür also den Energieaufwand betreiben, wenn man damit nicht einen Funken von Anerkennung erzeugt, sondern sich im Gegenteil ausgrenzt.
Ich musste raus. Raus aus der Schule und am besten raus aus Deutschland. Ich wusste, dass ich kaputtgehen würde, wenn ich nicht einen radikalen Schnitt in meinem Leben machte. Doch ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. Es war der Zufall, der mir die Richtung wies. Er kam in Form von zwei Schülern aus der 12. Klasse, die uns (damals 10. Klasse) von ihren Erfahrungen als Austauschschüler in Amerika erzählten. Es war weniger das, was sie über die Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Amerika-Maschine berichteten als das nonverbale Verhalten, welches sie an denTag legten,
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