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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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brachte er mal ein Fachbuch mit in den Unterricht. Eine Idee, die ihm später so gut gefiel, dass auch wir nach wochenlangem Warten endlich Bücher erhielten   – nicht zu Anfang des Schuljahres, wie sonst üblich. Herr P. schien die Lerninhalte selber nicht wirklich zu verstehen, und so zog er immer das Buch hervor, wenn mal eine Fragekam, die er nicht beantworten konnte. Seitenweise las er selber oder ließ uns vorlesen. Die »Analyse« des Gelesenen sollten regelmäßig die Schüler liefern. Eine gute Idee, aber in der praktischen Umsetzung mehr als abenteuerlich. Was er uns in unsere Hefte diktierte, lag jenseits von Gut und Böse. Nach gelesener Textpassage fragte er: »Und was heißt das?« Ein Schüler meldete sich, behauptete irgendetwas und Herr P. nickte: »Also gut, schreiben Sie auf!«, und er diktierte die Schlussfolgerung des Schülers in unsere Hefte. Während er so freudig an den Gedanken der Schüler entlangdachte und vor sich hin redete, inspirierte er sich meist selber zu weiteren endlosen Monologen. Nicht selten kam es vor, dass sich ein weiterer Schüler meldete, das zuvor Geschlussfolgerte infrage stellte und das genaue Gegenteil behauptete. Kein Problem bei Herrn P.: »Also gut. Schreiben Sie auf! Nächster Absatz!« Und so diktierte uns Herr P. auch die neue Schlussfolgerung in unsere Hefte, die dem zuvor Gesagten diametral gegenüberstand. Das Prinzip galt auch für seine ausgedachten Lehrinhalte. Er diktierte seine dilettantischen, unvorbereiteten Gedankengänge in unsere Hefte und bei kritischem Nachfragen oder anderen Auffassungen seitens der Schüler wurden diese anstandslos mit in die Hefte diktiert. Die Klausurvorbereitungen waren jedes Mal eine wahre Freude. Unsere Lernbegeisterung sank von gering auf nicht existent. Wir machten uns Luft, indem wir Herrn P. in den Pausen karikierten, sein Verhalten und seine Idiosynkrasien persiflierten und immer wieder zur selben resignierenden Schlussfolgerung des »Ist doch eh alles scheißegal!« kamen   – ein Satz, der schnell zum Synonym unserer Zukunftsaussichten und schließlich auch unserer Arbeitsmoral wurde. Herrn P. war alles egal. Sein eigener Unterricht, die Tatsache, dass regelmäßig 50   Prozent der Schüler nicht anwesend waren, Klassenbuchführung, Anwesenheitslisten, Unterrichtsmaterialien, Unterrichtsvorbereitung, seine eigene Pünktlichkeit   – bei ihm war alles optional. Ihm zu entkommen war schlechterdings nicht möglich. Er unterrichtete uns als Klassenlehrer in Deutsch, Erdkunde und Geschichte   – und einige, mich eingeschlossen, zusätzlich im Wahlpflichtfach Politikwissenschaft (PW).
    Meinen Eltern und mir war klar, dass wir nicht kampflos aufgeben konnten. Wir trafen uns mit Herrn P. und dem Direktor derSchule. Wir erläuterten die Situation und der Direktor verstand. Wir erzählten von Herrn P.s Unterricht, von seiner Zusage, besagtes Gutachtenformblatt auszufüllen, und die Blicke des Direktors wechselten zwischen uns und Herrn P. in einer Weise, als wolle er nach jedem Beispiel fragen, ob das alles wirklich stimme. Herr P. schwieg, und der Direktor fing an zu verstehen, wie brenzlig die Situation war. Er fragte sich vielleicht, was schlimmer war: die konsequente und in unseren Ordnern belegte Nichteinhaltung des Rahmenplans oder die Verletzung des Schulrechts, nach dem es für einen Lehrer unzulässig ist, einen Schüler in vier Fächern parallel zu unterrichten   – man stelle sich die Konsequenz vor, wenn er dem Schüler nicht wohlgesinnt wäre. Der Direktor machte unmissverständlich klar, dass ein Gutachten von Wohlwollen getragen sein müsse und dass das auch für Herrn P. gelte. Ein paar Tage später erhielt ich von ihm das Empfehlungsschreiben, das er mir ursprünglich zugesagt hatte.
    Es war derselbe Mechanismus wie bei der Versetzungssituation in der 6.   Klasse der Grundschule. Hätten wir uns nicht gewehrt und die Lehrer gewähren lassen, hätte das fatale Schäden für mich nach sich gezogen und die Weichen für meine Zukunft in eine völlig andere Richtung gestellt. Für wie viele Schüler hat wohl schon eine fatale Fehleinschätzung bzw. eine bewusste Schikane seitens der Lehrer verheerende Konsequenzen nach sich gezogen?
    Mit den vollständigen Unterlagen konnte ich den Platz in Michigan an der Highschool annehmen. Ich bin kein amerikanischer Hurrapatriot oder ein Im-Ausland-ist-alles-besser-Prediger, auch wenn sich folgendes Kapitel vielleicht danach liest. Es sind meine persönlichen

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