Schule versagt
mir Frau A. gezeigt hatte, wie man’s macht. Ich verstand Frau B. nicht. Als ich sie auf die Unruhe der Schüler, die Fun Party, zu der der Unterricht geworden war, ansprach, reagierte sie erstaunt: Sie hatte bisher nicht einmal gewusst, dass ihre Schüler auch anders sein konnten.
Das alles machte mich neugierig (und entschädigte etwas für die langweiligen Seminare): Wie war das möglich? Dieselben Schüler mit so eklatant unterschiedlichem Verhalten. Im Fall von Kollegin Sch. konnte ich nachvollziehen, dass ihre Schüler nach einer streng und feindselig abgehaltenen Unterrichtsstunde ihren Frust am nachfolgenden Kollegen auszulassen versuchten. Sie enthielt den auf ihre Note neugierigen Schülern die gesamte Stunde über ihre Klassenarbeiten vor; sie lagen auf dem Lehrertisch, und Frau Sch. versuchte eine Arbeit zu besprechen, die die Schüler noch gar nicht vor Augen hatten. Ich weiß nicht, ob sie die Ungeduld, die Angst, die Erwartung und zunehmende Aggression der Schüler genoss, ignorierte oder ob sie das, was sie tat, für Erziehung hielt. Äußerungen wie: »Das hat euch wohl euer Gruppenführer gesagt, dass ihr mich so behandeln sollt«, waren keine vertrauensbildende Maßnahme. Übrigens stimmte das mit dem »Gruppenführer« nicht; ich beobachtete die Klasse über mehrere Wochen hinweg, unterrichtete sie anschließend selbst und absolvierte manche Lehrprobe dort. Ich habe keinerlei Schwierigkeiten gehabt.
Der jeweils nach Frau Sch. unterrichtende Kollege tat mir leid, denn er musste die Klasse zunächst wieder auf einen normalen Verhaltenslevel bringen. Da er Mathe unterrichtete, gelang das schneller als in Fächern, die verbale Aktionen verlangen. Die Konzentration auf die Aufgaben und Regeln ist ein Vorteil der Mathematiklehrer, ebenso wie die schnellere Korrektur von Klassenarbeiten und Klausuren. Textintensive Fächer fordern viel mehrArbeit von den Lehrern, in jeder Hinsicht. Meine Fächer nannte man in meiner Referendariatsschule die »Selbstmord-Fächer«, weil sie, zumindest bei voller Stundenzahl, erheblich mehr Arbeit machen als naturwissenschaftliche Fächer, Sport oder Kunst. Nun, der Mathelehrer, ein netter älterer Kollege, hatte Verständnis für seine jüngere Kollegin: »Sie versteht doch nichts von Kindern, sie hat selbst keine. Und sie muss voll arbeiten, vollkommen überfordert. Ihr Mann ist arbeitslos.«
Nach den Hospitationswochen war ich um viele Erfahrungen und Erkenntnisse, aber auch um viele Fragen reicher. Während das Verhalten von Frau Sch. in einem sichtbaren kausalen Zusammenhang mit dem Leiden des Mathelehrers gestanden hatte, konnte ich mir das unterschiedliche Verhaltensmuster der (Oberstufen-)Schüler von Kollegin A. und B. nicht wirklich erklären. Ich hatte das Glück, in meinem Unterrichtsfach Deutsch eine Mentorin zugewiesen zu bekommen. Sie war nur wenige Jahre älter als ich, sehr hübsch, gepflegt, freundlich und aufgeschlossen. Frau K. ließ mich schnell selbst unterrichten, zog sich nach wenigen Stunden der Hospitation meines Unterrichts zurück und genoss die Entlastung, die sie durch mich erfuhr. Ihre Klasse war die Parallelklasse von Frau Sch. Aber ihre Klasse war ruhig und zufrieden. Der Unterricht war sehr professionell. Auch bei ihr fand ich Kompetenz und Konsequenz, genau wie bei Frau A. Ich sah, wie freundlich der Umgang zwischen Schülern und Lehrerin war, obwohl Frau K. immer und stringent Leistung einforderte. Auch sie lobte viel. Sollte es das sein? Dieses Verhaltensmuster? Konnte man überhaupt ein »Muster« daraus machen? Als ich Frau K. von Meyer erzählte, lachte sie und zuckte mit den Schultern. Ich deutete es als Zustimmung zu meiner eigenen Haltung. »Man merkt«, sagte sie, »dass Sie einen Sohn haben, mit dem Sie sich sehr gut verstehen!« Ich freute mich, dass sie das so wahrnahm. Es wunderte mich aber auch nicht angesichts ihrer Kompetenz und ihres Umgangs mit ihren Schülern.
Während ich im ersten Schulhalbjahr nach der Hospitation die beiden Kolleginnen, die meine Mentorinnen waren, entlastete, bekam ich im zweiten Halbjahr regulären Unterricht zugeteilt, insgesamt acht Stunden. Das war für Referendare die Höchststundenzahl. Daneben blieben die Seminare, die Klassen-, Fach-und Notenkonferenzen, die Elternsprechtage, die Gespräche mit Schülern, die Lehrproben (jeweils mit einem kurzen oder langen schriftlichen Unterrichtsentwurf) und die zusätzlich während der Ausbildung zu absolvierenden Schulrechts-, Medien- und
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