Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
Vom Netzwerk:
zog.
    Meine Stunden wurden, je mehr ich mich an diese oder jene Vorgabe anzupassen versuchte, qualitativ stetig schlechter. Der Kommentar Frau B.-K.s zu diesem Thema lautete: »Das macht nichts. Das wird alles wieder so, wie es vorher war, nur mit den theoretischen Vorgaben im Hintergrund.« Bei mir stimmte diese Prognose nicht; jedenfalls aus meiner eigenen Sicht. Aus Sicht derAusbildungsleitung war das anders. Je näher man den Vorgaben kam, desto besser; wenn die Schüler eifrig mitmachten: Sehr gut! Das war nicht mein Weg. Wie sollte man eine Lehrerpersönlichkeit entwickeln, wenn man wie Rekruten in eine Uniform gesteckt wurde? Dann sehen alle gleich aus. Das alles konnte Frau B.-K. nicht nachvollziehen. Sie war lange Studienrätin und Oberstudienrätin gewesen, bevor sie diesen Aufstiegs- und Ausstiegsjob übernommen hatte. Ein Aufstieg war es deshalb, weil die Bezahlung deutlich besser war als die eines normalen Lehrers. Ausgestiegen aus dem Unterrichten war sie auch. Sie leitete Referendare mithilfe von Hilbert Meyer an   – ausschließlich. Ich hatte den Eindruck, dass ihr die Flucht aus dem Unterricht sehr gelegen gekommen war. Trotzdem kam sie manchmal übel gelaunt in meine Stunden und nörgelte an allem und jedem herum. Das war meist dann der Fall, wenn ihr die Gelenke zu schaffen machten. Ich mochte sie nicht besonders. Die jungen Referendare sahen in ihr eine Art Mutterersatz. Sie genoss das durchaus. Übrigens streben eine ganze Menge Kollegen, meist über die Partei- oder Gewerkschaftsschiene, nach solchen Ruheposten, die einem die Last des Lehrerlebens abnehmen. Es gibt Schulräte, die selbst nur zehn Jahre oder weniger Lehrer waren und dann auf diese Weise die Flucht nach vorn angetreten haben. Ich kenne Kollegen, deren Mitgliedschaft in einer politischen Partei zur Karriere in der Ministerialverwaltung erheblich beigetragen hat. Dasselbe gilt für das Engagement in der Gewerkschaft oder einem der Lehrerverbände.
     
    In der Restzeit des Referendariats ließ ich mich in Bezug auf meinen Weg nicht mehr beirren. Es kostete mich mit Sicherheit ein paar Kommastellen meiner Endnote. Dem einen Seminarleiter war ich zu dominant, dem anderen zu liberal, der Hauptseminarleiterin zu autonom (in Bezug auf die Lehrergebote). Ich fragte mich, wie es jungen Referendaren möglich sein sollte, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, wenn sie ständig auf (unterschiedliche) Methoden und Theorien festgelegt wurden. Die Antwort lautet: gar nicht. Aber das war ja auch nicht der Sinn der Ausbildung. Die Heranbildung von echten, voneinander verschiedenen und unterscheidbaren Lehrerpersönlichkeiten war nicht intendiert. Genau so habe ich es erlebt.
    Viele Kollegen, zumindest die mir aus den Schulen meines Sohnes bekannten, hielten dieses Muster auch weiterhin aufrecht. Wie soll bei solchen Pädagogen die Vorstellung entstehen, dass das Ziel einer Ausbildung die Entwicklung und Förderung der Schülerpersönlichkeit ist? Sie haben es in ihrer eigenen Schulzeit nicht erfahren. Sie haben es im Referendariat nicht erfahren. Mehr Erfahrung und Lebenserfahrung haben sie in der Regel nicht. Dann gehen sie als fertig ausgebildete Lehrer in die Schule, sind froh, dass sie »drin« sind, und geben nach vorgegebenen Methoden Lernstoff weiter oder lassen ihn erarbeiten. Bestenfalls der »Lernerfolg« ist wichtig, nicht der Mensch.
    Im Referendariat habe ich sehr viele grundverschiedene Klassen mit jeweils eigener Gruppendynamik und ganz unterschiedlichen Schülerpersönlichkeiten kennengelernt. Auch nur in zwei Klassen denselben »Lernstoff« auf die gleiche Art und Weise zu präsentieren, war gar nicht möglich. Ich tat es jedenfalls nicht. Hinzu kam: Wenn ich auch nur zweimal dieselben Inhalte identisch zu behandeln versuchte, wurde mir in meinem eigenen Unterricht langweilig. Das bedeutete, dass ich immer wieder neu konzipieren und strukturieren musste, und zwar offen. Offen bedeutet: an der Gruppendynamik der Klasse, an ihrem Leistungsstand und dem Grad der persönlichen Entwicklung orientiert. Diese Art, an die Sache heranzugehen, erwies sich als ebenso arbeitsintensiv wie funktional.
    Stellen Sie sich vor, Sie unterrichten in einer 11.   Klasse, die während einiger Jahre vorwiegend schlechte Erfahrungen gemacht hat. In meiner ersten Stunde dort sahen mich 22 feindselige oder zumindest verschlossene Gesichter an. In solch einer Atmosphäre des gestörten bzw. verspielten Vertrauens kann man nicht einfach so anfangen,

Weitere Kostenlose Bücher