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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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bemühte sich, das Projekt mit ihm zu einem Erfolg werden zu lassen. Allerdings habe ich über das Ergebnis nie etwas erfahren. Schließlich musste im Verlauf der elterlichen Intervention schnell gehandelt werden. Herr W. ließ sich krankschreiben, und wir sahen ihn monatelang nicht. Dann wurde er pensioniert; etliche Jahre vor dem regulären Pensionsalter. Welche Rolle die Schulleitung dabei spielte, weiß ich nicht. Aber es war wohl die einzige Möglichkeit, den Kollegen vor einer Zwangsversetzung und die künftigen Schüler, die er noch unterrichtet hätte, vor ihm zu bewahren. Die ihm zuvor anvertrauten Schüler waren erleichtert. Sie bekamen eine neue Klassenleiterin, eine kluge Wahl des gebeutelten Direktors, denn Frau P. war verständnisvoll und empathisch, dabei ebenso konsequent wie freundlich. Es war den Schülern deutlich anzumerken, dass diese Entscheidung des Direktors richtig gewesen war. Und auch alle anderen Kollegen, die in der Klasse unterrichteten, profitierten davon, dass sie nun mit entspannten Schülern zusammenarbeiten konnten.
    Als Referendar hat man mit den Seminaren, dem Unterricht,den Lehrproben, der Vorbereitung, den Zusatzkursen und Konferenzen nicht nur eine volle Arbeitswoche. Oft müssen an den Wochenenden die Korrekturen erledigt werden, zu denen man im Lauf der Woche nicht gekommen ist. Es ist ein Fulltime-Job. Je mehr es auf die Abschlussprüfung zugeht, desto arbeitsintensiver wird es. Als ich die Prüfungsmühle hinter mir hatte, war ich um einige Erfahrungen reicher   – und ich meine damit nicht die Erkenntnisse, die wir in unseren dicken Pädagogikbibeln fanden. Ich wusste nun, wie andere Lehrer mit Schülern umgehen. Ich hatte positive Beispiele erlebt, z.   B.   Frau K., Frau P. und Frau A., und negative, wie Frau Sch., Frau B. und Herrn W., um nur einige zu nennen. Daneben gab es in der Hauptsache das, was dazwischen liegt: Mittelmäßige Lehrer waren die Regel. Sie machten ihren Job routinemäßig, fehlten ab und zu und zehrten von Unterrichtseinheiten und -methoden, die sie seit einigen oder auch vielen Jahren praktizierten. Sie änderten selten etwas daran und waren ganz zufrieden mit ihrer Lebensentscheidung, weil sie ihnen Erwartungs-, Orientierungs- und finanzielle Sicherheit gab. Die Schüler nahmen sie als unvermeidbaren Teil ihres Jobs wahr. Dabei waren sie nicht unfreundlich; ein bisschen träge und unflexibel, manche ängstlicheren Typen zu anbiedernd oder zu streng. Die meisten operierten nur auf der Verhaltensebene und bestraften bzw. belohnten via Notenskala. Was man von ihnen mit Sicherheit nicht oder kaum erwarten konnte, waren Empathie und Mentoring, also die Schlüsselfunktionen jeder Lehrerrolle. Sie brachten nicht einmal die Grundvoraussetzung mit: echtes Interesse an ihren Schülern. Alle Jahre wieder kamen und gingen Schüler, und wenn man das zehnmal oder zwanzigmal oder gar dreißigmal erlebt hat, wird es selbstverständlich. Es ist das Leben; und der Ausbruch aus diesem ewigen Kreislauf der Routine und der Einheitserfahrung ist schwer, wenn man keinen innovativen Anspruch und keine Ahnung von oder gar Angst vor dem wirklichen Leben hat. In diesen Durchschnittskollegen erkannte ich auch den Großteil der Referendare wieder, mit denen ich meine Ausbildung absolvierte: genauso würden sie einmal werden.
    Mit Kollegen, die regelmäßig zu spät in den Unterricht kamen   – mein Sohn hatte mir oft davon erzählt   –, machte ich Bekanntschaft und mit solchen, die fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn (aberauch erst dann) eifrig über irgendetwas Schriftliches gebeugt im Lehrerzimmer saßen und, wenn man sie ansprach, unwirsch »Ich muss jetzt meinen Unterricht vorbereiten!« antworteten. Neurotische Kollegen gab es einige. Zum Beispiel der lange, dünne 3 8-Jäh rige , der stets mit seinem Alter (bzw. seiner Jugend) und mit seiner enormen Körpergröße kokettierte und kein anderes Thema kannte. »Noch keine Vierzig und schon Studienrat!«, »Da hat doch gestern im Supermarkt eine Frau zu mir gesagt: ›Ach, junger Mann, Sie sind so stattlich, können Sie mir mal die Dose da oben aus dem hohen Regal holen?!‹« Das war die Welt, in der er lebte. Das infantile Verhalten von Herrn W. habe ich bereits erwähnt. Er war nicht der Einzige, der sich so benahm. Mein P W-Seminarleiter kokettierte gern vor einer sehr hübschen Referendarin. Er hatte ein ausgesprochenes Faible für sie und näherte sich ihr mit einer Mischung aus Gier und Ängstlichkeit. Sie

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