Schule versagt
war sehr klug, brach dann auch das Referendariat ab, um zu promovieren, und sagte mir beim Abschied: »Ich bin sicher, dass der sich jedes Mal, wenn er mit mir zusammen war, einen runter geholt hat.«
Insgesamt aufgefallen war mir zum Ende des Referendariats, dass viele Kollegen unbewusst den Drang hatten, ihr Leben so früh wie möglich zu ordnen und sich dann in dieser Ordnung behaglich und selbstzufrieden zu fühlen. Das war für sie sehr wichtig: Ich bin jetzt Studienrat, bin verbeamtet, bin »drin«, ich finde mich zurecht, ich habe eine Frau, zwei vorzeigbare Kinder, hier wohnen wir, dort liegt die Schule – alles geschafft, alles in der unveränderbaren Ordnung und jetzt kann mir nichts mehr passieren, Gott sei Dank! Auf diese Mentalität bin ich oft gestoßen in Gesprächen.
Im Referendariat habe ich viele Dinge gelernt. Ich wusste jetzt, das »OStD« Oberstudiendirektor(in) bedeutet. Das »S« an Frau B.-K.s Tür hieß Studienräte und meinte, dass Frau B.-K. Lehrer ausbildete, die in Gymnasien unterrichten und deshalb Studienräte werden würden. (Daneben gab es eine als »L« gekennzeichnete Ausbildung, die alle anderen Lehrer an allen anderen Schulen bezeichnete.) Ich hatte jetzt eine erste Vorstellung davon, wie Vorgesetzte mit Lehrern umgehen. Die Atmosphäre an meiner Ausbildungsschule hatte mir insgesamt gefallen. Und das lag zueinem großen Teil an der Schulleitung. Auch in anderen Schulen, in denen ich später unterrichtete, »stank« der Fisch immer vom Kopf her, oder auch nicht. Der Direktor war, wie schon gesagt, ein Mann der alten Schule: immer pünktlich, immer gepflegt gekleidet, immer diszipliniert. Konferenzen am Freitagnachmittag waren selbstverständlich. Nachdem er verstanden hatte, dass ich ein erwachsener Mensch mit vielen Jahren Berufserfahrung außerhalb von Schule war, wurde er zugänglich, verständnisvoll und kooperativ, schützte mich auch ab und zu vor dem gehässigen Seminarleiter, der an seiner Schule unterrichtete. Ich mochte ihn.
Ich wusste jetzt, dass man sich einen Sitzplatz im Lehrerzimmer verschaffen und Belegsymbole ausbreiten musste, um ihn zu verteidigen. An meiner Ausbildungsschule waren die so gekennzeichneten Plätze sicher, an anderen nicht. Kollegen erzählten mir, dass sie »nicht einmal einen eigenen Stuhl« hätten und jeden Tag ihre mitgebrachten Sachen neu ordnen mussten, nichts liegen lassen konnten, um am nächsten Tag daran weiterzuarbeiten. Stellen Sie sich vor, Sie müssten die Sachen, die auf Ihrem Schreibtisch liegen, jeden Abend nach Dienstschluss wegräumen und jeden Morgen, wenn Sie sie wieder brauchen, neu mitbringen, auslegen, ordnen, strukturieren usw. Und das in einem Raum mit dreißig, vierzig Kollegen, denen es genauso geht. Das ist wahrhaft keine gute Voraussetzung für effektives und auch entspanntes Arbeiten. Und schon gar keine, um Lehrer über ihren Unterricht hinaus in der Schule zu halten. Als einmal ein Kollege uns besuchte, der in Schweden arbeitete, war er erstaunt darüber, dass bei uns nicht alle Kollegen bis fünf Uhr nachmittags anwesend waren, in der Schule arbeiteten und damit über einen langen Zeitraum hinweg jeden Tag ansprechbar waren. In seiner Schule hatte jeder Lehrer nicht nur einen festen Platz, der etwas größer als fünfzig mal fünfzig Zentimeter war, sondern einen eigenen Schreibtisch. Es saßen nicht vierzig Kollegen in einem Raum, sondern zwei, drei oder fünf.
Ich wusste jetzt auch mehr darüber, wie Schüler mit Schülern und wie Schüler mit Lehrern umgehen. Allerdings machte ich die wirklichen Erfahrungen erst, als ich mich mit fast voller Stundenzahl in die Schulmühle begeben hatte. In dieser Zeit lernte ich, was es heißt, unter den bürokratischen und rechtlichen Bedingungen,die wir heute haben, Vollzeitlehrer zu sein. Das Referendariat absolvierte ich an einem Gymnasium, in dessen Einzugsgebiet in der Regel Familien der unteren und mittleren Mittelschicht wohnten. Die Schüler kamen aus weitgehend intakten familiären Milieus; diejenigen mit Migrationshintergrund waren gut integriert. Es gab ab und zu Drogenfunde, ab und zu wurde ein Taschenmesser entdeckt. Das war alles. Körperliche Gewalt habe ich dort nicht erlebt und verbale sehr selten. Insofern war ich verwöhnt. Der Umgang der Schüler mit mir und meinen Kollegen war offenbar so unspektakulär, dass ich mich nicht an einen einzigen unangenehmen Vorfall erinnere. Natürlich wurden Klassenkonferenzen wegen schlechter Leistung
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