Schule versagt
einberufen, auf Notenkonferenzen lange über die »Problemfälle« diskutiert, aber abgesehen von der bereits erwähnten 11. Klasse habe ich keine Feindseligkeiten von Schülern erlebt. Auch der Umgang der Schüler miteinander war in der Regel friedlich, von kleineren Streitereien abgesehen.
Nach der Ausbildung merkte ich, dass ich mich entwickelt und verändert hatte. Als ich raus war aus der täglichen Tretmühle, war es möglich, diese Erfahrung wirken zu lassen. Die meisten meiner Mitstreiter bewarben sich sofort und überall, um möglichst schnell eine Stelle zu bekommen. Ich dagegen überlegte, ob ich mit der Recherche weitermachen sollte und wenn ja, wie und wo. Die wichtigste Erkenntnis diesbezüglich war, dass ich wohl eine Präferenz für die Sekundarstufe II 14 hatte. In den Grund- und besonders den Leistungskursen der Oberstufe hatte ich mich am wohlsten gefühlt. Die Äußerung des Direktors, ich sei immer auf Leistungskursniveau, war ein Aha-Erlebnis für mich. Ich hatte es selbst nicht so empfunden, sondern als selbstverständliches Wissens- und Kompetenzlevel für alle Lehrer gewertet. Ich musste froh sein, dass sich bei mir überhaupt so etwas wie eine »Lehrerpersönlichkeit« herausgebildet hatte. Wohlgemerkt bildete sie sich für mich mehr oder weniger unbewusst aus, entgegen den Ausbildungsvorgaben und -zielen und gegen Widerstände. Bei den jungen Referendaren vollzieht sie sich in Form des Hidden Curriculum in der Hauptsache als eine Form von Vereinheitlichung, als eine Art des ungewollten Kollektivismus, der in die Mittelmäßigkeit führt. Es ist ein Quick-fix mit dem Ergebnis des Social Mirror. Wer hier kreative Lösungen erwartet, muss enttäuscht werden.Mein Sohn verstand das. Merkwürdigerweise half ihm diese eigentlich negative Erkenntnis, die Schule gelassener zu nehmen. Wenn Sie so wollen: hinzunehmen, im Sinne eines Weisen, der es versteht, Dinge zu lassen, wie sie sind, wenn deren positive Veränderung außerhalb des eigenen Einflussbereiches liegt. Glücklich war er mit dieser Erkenntnis nicht. Aber er konnte damit besser umgehen als mit der vorausgegangenen Unwissenheit um die Mechanismen, die das Ganze im Innersten zusammenhalten.
Obwohl ich froh über meine Selbsterkenntnis war, blieb das Unbehagen zurück, im Referendariat mehr oder minder Stückwerk abgeliefert zu haben. Stückwerk in dem Sinne, dass ich zwar trotz der Ausbildung einiges von dem, was wirklich wichtig war, begriffen, aber nie aus einem Guss gehandelt hatte. Methoden und Didaktiken hatten wir mitbekommen, auch »Wie man mit Unterrichtsstörungen umgeht« u. ä. pädagogische Anleitungen. Sie alle waren im Stil von LIMO gehalten. Es fehlten die Motivation und das Handeln aus einer klaren inneren Haltung heraus, auf deren Grundlage man sich jedem Problem stellen und es lösen konnte. Mir wurde klar, dass ich nur für längere Zeit im Schulsystem bleiben konnte, wenn ich mich auf diesen Prozess einlassen wollte. Ich musste Learning by Doing in einer ganz anderen Weise praktizieren, als es unsere Hauptseminarleiterin gemeint hatte, als sie sagte: »Sie alle werden jetzt Ihre Erfahrungen sammeln und dann Routine bekommen.« Es war tröstlich und aufmunternd gemeint. Hatte sie je begriffen, was es wirklich heißt, Lehrer zu sein? Das Learning by Doing, das ich meine, bedeutet: während man im Beruf ist, die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Wer lehren will, muss Vorbild sein, sich zuallererst an die eigene Nase fassen und genau hier beginnen.
Einige meiner Kollegen hatten immer wieder gefordert und teilweise umzusetzen versucht, »das System« zu verändern, die »Schülerrolle neu zu definieren«, »autoritäre Strukturen durch antiautoritäre zu ersetzen«. Es war ernst gemeint und wurde auch im Rahmen des jeweiligen Einflussbereichs durchgeführt. Im Referendariat hatte ich bei solchen Hospitationen beobachtet, wie Lehrer sich auf die Denk- und Handlungsebene ihrer Schüler begeben. Es war meistens unruhig in der Klasse, es kam keine wirkliche Konzentration auf und die Kumpelhaftigkeit führte nicht zugegenseitigem Respekt und wirklichem Vertrauen. Es war eine Atmosphäre der unangemessenen Vertraulichkeit, die zudem eine scheinbare war, und die Schüler wirkten auf eine gequälte Art »locker«. Diesen Eindruck bin ich nie losgeworden. Allerdings war der Umgang mit diesen Kollegen für mich einfacher als mit autoritär orientierten Lehrern, denn sie waren in der Regel schülerfreundlich und
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