Schule versagt
unterstützten elterliche Bemühungen, wenn es um Noten oder Konflikte ging. Einschränkend muss ich jedoch sagen, dass bei ihnen, durch das meist ungeklärte Verhältnis zu sich selbst, Hidden-Curriculum-Handlungen auftraten, die das Ganze konterkarierten. Ich meine damit nicht, dass sie ihr Selbstverständnis als Lehrer nicht geklärt hätten; ihre bewusste Rolle war als antiautoritäre Bezugsperson mit Kenntnis und Verständnis persönlicher Belange und Probleme ihrer Schüler relativ klar definiert. Ich meine versteckte Aggressionen, Abneigungen, Vorlieben, Vorurteile, die unbewusst wirkten, auch nicht bewusst gemacht werden konnten, weil das eigene Rollenverständnis einen solchen Evaluationsprozess verhinderte. Es reicht nicht, sich auf das Niveau der Schüler zu begeben, um Anerkennung bei ihnen zu finden. Das ist eine Form der Kodependenz, die nicht fordert und nicht fördert.
Ich dachte an meine Eingangsmotivation. Ich hatte Einblicke bekommen, Erkenntnisse gewonnen, Erfahrungen gemacht. Vieles von dem, was ich wissen wollte, hatte ich erfahren und mit meinem Sohn gemeinsam verarbeitet. Aber ich wusste nicht genug. Ich musste noch tiefer in die Strukturen dieses Systems hineingehen, das so entscheidend für unsere Zukunft ist. Das Ziel war geblieben. Die Motivation, wissen zu wollen, wie es ist, wenn man den Schülern aus der Lehrerperspektive begegnet, war ebenfalls geblieben, aber durch den Umgang mit ihnen verändert worden. Aus einer eher akademisch-distanzierten Herangehensweise war das engagierte Interesse am Menschen geworden. Gleichzeitig aber musste ich die Ergebnisse meiner Recherche analysieren. Das geht nur mit Distanz, objektiviert. Die Brücke zwischen diesen beiden Polen konnte nur mein geplantes Projekt bilden. Ich musste (und konnte) es konkreter konzipieren, zumindest in den Grundzügen, dann wieder in die Schule hineingehen und an seinen Eckpunkten und Zielen entlang zu Papier bringen.
II. Kommunikation, Kompetenz, Kontrolle, Persönlichkeit? Die Lehrerrolle
Two roads diverged in an wood – and I took the one less travelled by, and that has made all the difference.
Robert Frost
Entsprechend meiner Selbsteinschätzung versuchte ich, in Oberstufen-Schulen 1 mit unterschiedlichen Ausbildungsschwerpunkten zu arbeiten. Ich bewarb mich direkt an einer Schule und sah sie mir zuvor an. Ich merkte bald, dass meine Entscheidung richtig war. Ich konnte mich auf die älteren Schüler besser einstellen. Das zeigt, wie wichtig es ist, gerade und auch für »echte« Lehrer, über diese Entscheidung nachzudenken, bevor man sie trifft, und nicht einfach an irgendeiner Schule zu unterrichten. Die Referendare mit schlechteren Noten, den falschen Fächern und Bundesland-Präferenzen mussten sowieso auf ihre Einstellung warten, manche so lange, dass sie schließlich doch in andere Bundesländer abwanderten, deren Einstellungskonditionen besser waren. Diese Zeit als Klärungsprozess zu nutzen, ist mit Sicherheit richtig. Wie wir wissen, werden bis zu 40 Prozent der Lehrer als nicht geeignet für ihren Beruf eingestuft. 2 Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann man dieses Ergebnis auf die falsche oder richtige Wahl der »passenden« Schule bzw. Schulstufe übertragen.
Über welche Schlüsselqualifikationen sollten Lehrer im Umgang mit ihren Schülern verfügen? Die Werte Kommunikation, Kompetenz und vor allem die Kraft der Lehrerpersönlichkeit (auch im Sinne von Motivation) werden von den Schülern am meisten geschätzt. 3 Im täglichen Umgang mit den Schülern gibt es aber auch viele kleine Dinge, die ungemein wichtig sind. Davon wird auch die Rede sein. Kontrolle als Negativwert wird explizit erwähnt, weil dieses Disziplinierungsinstrument noch sehr häufig angewendet wird. An die Stelle der in der Wissensgesellschaft so notwendigen Selbstdisziplin und Eigenverantwortung treten Disziplinierungsversuche und Fremdverantwortung – mit fatalen Folgen.
In einer unserer 11. Klassen haperte es an der Kommunikation untereinander und mit den Lehrern. Das Leistungsniveau war niedrig, zu niedrig für Schüler, die in Kürze das erste Halbjahr hinter sich gebracht haben würden. Es gab viele Klagen von Kollegen in Bezug auf den Umgang der Schüler mit Leistungsanforderungen. Für einige ging es um ihr Verbleiben an der Schule und damit um die Möglichkeit, die Hochschulreife zu erlangen. Für alle ging es um die Verbesserung des Leistungsniveaus, der Arbeitshaltung und der Arbeitsatmosphäre
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