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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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gehört, hat sogar seinen alten Geschichtsordner aus der Realschulzeit dabei, blättert ein wenig und wird schließlich fündig.
    »Ah, da steht’s: Gewaltenteilung: Legislative, Exekutive, Judikative.«
    Er liest das mechanisch vor. »Keine Ahnung, was das bedeutet   … Ach ja, vielleicht doch, hier steht’s: gesetzgebende Gewalt, ausführende Gewalt, rechtsbrechende Gewalt.«
    »Wie bitte?«
    »Das steht da so!«
    »Denken Sie doch mal nach: rechtsbrechende Gewalt?«
    Keine Reaktion. »Muss das nicht rechtsprechende Gewalt heißen?«
    »Ach ja?« Verständnisloser Blick. Der Schüler ist stolz, dass er daran gedacht hat, seinen Ordner von damals mitzubringen, dass er notiert hatte, was das ist: Gewaltenteilung. Und nun ist das noch nicht genug. Alle anderen wussten schließlich nichts oder hatten, jetzt wo sie’s erfahren haben, »vielleicht schon mal davon gehört«.
    »Na gut; aber was
bedeutet
das?«
    Schwierige Frage. »So was hat in unserer alten Schule keiner gefragt.«
    »Warum nicht?«
    Schulterzucken: »Wir haben gelernt, was das ist, dann haben wir’s aufgeschrieben.«
    »Und vergessen?«
    »Ja, meistens.«
    In der alten Schule hatten sie Fakten zur Kenntnis genommen, Lösungen vorgefunden, selten selbst erarbeitet. Die Fakten blieben unreflektiert, fast nie hat jemand gefragt: »Was bedeutet das?« oder »Warum ist das so?«! Frühestens nach einem halben Jahr haben etwa 70 bis 80   Prozent der Schüler verstanden, worum es geht. Am Beispiel Demokratie bedeutet das: Sie haben erkannt, dass diese Idee nicht irgendein altes, längst vergessenes Zeug ist, sondern in unsere Gegenwart hineinwirkt. Dass unser tägliches Leben geworden ist, wofür die ersten Demokraten mit dem Entzug der Freiheit, mit Folter oder gar dem Leben bezahlten. Dass diese Gegenwart in Verfassungsnorm und Verfassungsrealität nicht denkbar ist, ohne den historischen Hintergrund und diese Entwicklung. 9 Dass die Theorie der Identitären Demokratie freiheitsgefährdende Elemente enthält, war für sie ein Aha-Erlebnis. Dass Karl Marx’ Ansatz zum Teil auf dieser Theorie beruhte und dass im real existierenden Sozialismus versucht wurde, sie umzusetzen. Dass 1989 in der DDR die individuellen Grundrechte, die Freiheitsrechte des Individuums gegenüber dem Staat, eingefordert wurden, von denen Theoretiker geglaubt hatten, sie seien überflüssig, weil die herrschende Ideologie a priori vernünftig und gerecht sei, weil die Unterordnung unter das Kollektiv, dem die Partei, die immer recht hatte, den Weg wies, die wahre Freiheit bedeute: Das war Erkenntnis, ich merkte es an den Gesichtern.
    Nach der kontinuierlichen Einübung in das konzentrierte Durchdenken von Problemstellungen, in die genaue Analyse und in die Einsicht in Vernetzungen und kausale Zusammenhänge, sind viele Schüler in der Lage, konstruktiv zu kritisieren. Auf das o. g. Beispiel bezogen, hoben sie die Idee der Volkssouveränität und die Idee der Gleichheit bzw. der Gerechtigkeit positiv hervor und bezogen sich dabei auch auf die Finanzkrise. Sie leisteten alsobereits den Transfer. Sie erfassten die Meinungsfreiheit als zentralen Wert und empfanden die freiheitsgefährdenden, potenziell diktatorischen Elemente als unannehmbar. Sie waren sensibilisiert für diese feinen Nuancen und entdeckten sie auch in den Programmen der politischen Parteien, erkannten, dass deren Verhältnis zu Freiheit und Gleichheit einer der Schlüssel zu ihrem Demokratieverständnis ist.
    So ähnlich lief es meistens ab. Nicht alle Schüler erreichten diesen Erkenntnisstand. Und es dauerte Jahre. Wenn die Schüler zu uns kamen, hatten viele zu allem eine Meinung   – und wussten über die Dinge, die sie beurteilten, so gut wie nichts. Einige hatten zu jedem Problem ein schnelles Urteil parat, basierend auf solidem Nichtwissen. Viele reproduzierten Vorurteile, die von keiner Reflexion getrübt waren, und reagierten erstaunt, widerwillig oder empört, wenn man diesen Teufelskreis durchbrach. War er aber durchbrochen, spürte man deutlich das, was den Beruf des Lehrers überhaupt erst interessant und lebenswert macht: Erkenntnis, Einsicht, Entwicklung, Wachsen, Erwachsen-Werden, Reife mit zu initiieren. Es war immer wieder ein Erlebnis zu sehen, wie Kompetenz geboren wurde und wuchs. Auch wenn unsere Bemühungen nicht in allen Fällen erfolgreich waren.

IV.   Konkurrenz, Mobbing, Hierarchie:
Leben in der Parallelwelt
    Es geht nirgends merkwürdiger zu als auf der Welt.
    Kurt

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