Schule versagt
nicht nur in ihrer Schule ein gutes Englisch gelernt hatten, sondern für diesen Test Tag und Nacht büffelten. Sie waren hungrig. Sie wollten lernen, sie wollten weiterkommen, sie wollten unbedingt in Australien studieren und sie wollten sehr gute Abschlüsse machen. Dafür wendeten sie ihre gesamte Energie auf. Solcherart vorbereitet, bestanden sie den Test bravourös und zwar alle, die angetreten waren. Während viele unserer Schüler dazu neigen, das Problem in den Vordergrund zu stellen, z. B. den hohen Schwierigkeitsgrad eines Tests, fokussieren sich die jungen Chinesen auf die Chance, die darin besteht, den Test zu bestehen und die Belohnung, z. B. einen der begehrten Studienplätze an einer Hochschule hoherQualität, zu bekommen. Hungrig sind auch die 400 000 indischen Studenten, die jedes Jahr einen Abschluss als Ingenieure in ihrem Land machen. Bei uns gibt es die hohe Zahl von bis zu 50 Prozent Studienabbrechern pro Jahr, Tendenz steigend. Studiengebühren gibt es nicht, oder sie sind derart gering angesetzt, dass sie die Verweildauer an deutschen Hochschulen nicht wesentlich verringern werden. Zahlen wie in den USA oder Australien, wo ein Semester an einer guten Hochschule, die im Ranking unter den besten 50 der Welt zu finden ist, 10 000 Euro und mehr kostet, haben wir hier nicht. Sicher lässt sich über den Sinn von Studiengebühren, die ihren Namen verdienen, streiten. Ich kenne die Diskussion darüber und die Argumente der Gegner, die soziale Benachteiligungen befürchten. Ich weiß auch, dass es in den USA ein völlig anderes Stipendiensystem gibt als hier. Dort sponsern Firmen wie Pepsi Cola künftige Studenten nicht nur mit der Übernahme der Studiengebühren, sondern auch mit deren Lebenshaltungskosten. Das gesamte System basiert im Wesentlichen auf Leistung. Nur wer mit drei Sternen an der Highschool graduiert hat, kommt in den Genuss solcher Zuwendungen wie der oben erwähnten. Und selbstverständlich ist während des gesamten Studiums dieses Leistungsniveau zu halten. Schlechtere Leistungen haben Konsequenzen. Dann beschränken sich private Stipendien z. B. auf Zuschüsse zu den Studiengebühren.
Bei uns bekommt Gelder nach dem BAFöG, wer sie aus finanziellen Gründen benötigt. Ein Ansatz, der dem sozialstaatlich orientierten Deutschland gut zu Gesicht steht. Die amerikanische Gesellschaft kennt kein solches Staatsstrukturprinzip mit Verfassungsrang. Auch deshalb wird vieles privat organisiert. Die Gefahr bei uns besteht darin, dass die Orientierung auf Bedürftigkeit eine passive Erwartungshaltung hervorbringt, dass vom Staat – und damit von den Steuerzahlern – erwartet wird, was man selbst leisten könnte. Eine Opfermentalität kann entstehen. In der Schule habe ich oft solche Erfahrungen gemacht. Die Ergebnisse unzähliger Klassenkonferenzen, zu denen die betroffenen Schüler jeweils eingeladen und angehört wurden, zeugen davon. Immer stellten sich diese jungen Leute als Opfer dar: ihrer Eltern, ihrer Herkunft, ihrer Lebensumstände. All diese Faktoren sollten verändert werden, von wem auch immer. Nur an die eigene Nasefassen und dort beginnen kam nicht infrage, jedenfalls nicht von selbst. Wenn man sie fragte, was sie persönlich zur Verbesserung der Situation tun könnten, kamen Beteuerungen, wurde die feste Absicht bekundet, ab jetzt jeden Morgen pünktlich aufzustehen, abends früher ins Bett zu gehen, mehr für die Schule zu arbeiten statt in Computerspiele einzutauchen und in deren virtuelle Welt zu flüchten; usw., usw. Beteuerungen, die in den seltensten Fällen eingehalten wurden. Und wie auch: Wer sich selbst nicht verändert, sich immer mitnimmt, auch in das angestrebte neue Lebensmuster, kann keine nachhaltige Wirkung erzielen. Wie viele Chancen gegeben wurden – ich weiß es nicht mehr. Es gab Schüler, die drei Mal und mehr in solchen Konferenzen gehört wurden. Und letztlich doch scheiterten.
Der passive Mensch, der ewige Säugling, der, bildlich gesprochen, immer mit offenem Mund auf die Flasche wartet. Der zufriedengestellt werden will, ohne etwas dafür tun zu müssen. Oft ist er mir begegnet in der Schule. Es war tragisch zu sehen, wie vielleicht vorhandene Kräfte und Talente nicht zur Entfaltung kamen, wie echte oder zur Schau getragene Langeweile das Ergebnis der Opfermentalität und des hedonistischen Lebensstils war. Oder schlimmer, wie Selbsthass aus der eigenen Unzulänglichkeit resultierte. Die Angst vor der Freiheit im
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