Schule versagt
sprechen würden. »In einer Stunde«, antwortete Carlo, und Hans ging, ohne einen von uns angesehen zu haben.Er ging und kam nicht wieder. Sebastian, mit dem Ilse ursprünglich hatte zusammenarbeiten wollen in der neuen Learning-by-Doing-Phase, sagte passgenau: »Wir können doch mit den Schülern eine Schifffahrt machen in der Woche nach den Herbstferien. So eine Art Feedback-Woche, in der sie uns ihre gemachten Erfahrungen schildern.« Der Vorschlag stieß auf fruchtbaren Boden bei Herb, Raphael und auch bei Carlo (Gerd hatte den Raum verlassen). Man könne dann sehen, wo bei den Schülern Defizite seien, Lücken usw. Ich sagte nichts, auch nicht, als Raphael mich dazu aufforderte. Er erzählte dann von seiner und Ilses Klasse, mit der sie so viele Kommunikationsversuche gemacht hätten, aber die Schüler blieben stumm und verschlossen. Ilse unterstützte ihn. Die beiden erklärten sich die Misserfolge aus dem mangelnden Entwicklungspotenzial ihrer Schüler.
Warum sprachen sie das jetzt an? Um deutlich zu machen, dass auch die Learning-by-Doing-Woche an der schlechten Kommunikationsfähigkeit ihrer Schüler nichts geändert habe? Ich sah in Raphaels Gesicht. Er war vollkommen überzeugt von dem, was er da sagte. Als die Rede darauf kam, dass die Schüler auch ihre Hausaufgaben vernachlässigten, schlug Herbs Stunde. Er schlug vor, die Schüler in den drei Learning-by-Doing-Tagen mit Aufgaben zu versorgen, die sie in der Schule lösen sollten. Hausaufgaben in der Schule – das war Herbs Vorschlag für die Einführungstage. Er meinte, die Schüler seien wie Süchtige. Wenn sie zu Hause angekommen seien, sei der Gedanke an Hausaufgaben einfach ausgeschaltet. So wie bei Nikotin- oder Alkoholsüchtigen, die nur ihre Zigarette oder ihre Flasche wahrnähmen, seien die Schüler zu Hause auf Freizeit getrimmt. Das Ganze wurde zunehmend interessanter, die Distanz zwischen mir und meinen Kollegen größer. »Das geht nicht«, sagte der zurückgekehrte Gerd, »ich kenne so eine Schule. Da brauchst du Personal zur Aufsicht, wenn du das durchziehen willst. Und das haben wir nicht.« Die Aussicht, bis zum späten Nachmittag zu bleiben und Hausaufgaben zu beaufsichtigen, schien keinem so recht zu behagen. Der Vorschlag wurde ad acta gelegt und die Idee der Schifffahrt wieder aufgenommen. »Drei Tage«, schlug Carlo vor, »mit Übernachtung in einer Jugendherberge und einem Feedback«.
Die Learning-by-Doing-Woche bzw. die drei Einführungstageund offenbar auch der Geist, von dem sie getragen war und den Sven so anschaulich auf seinem Plakat verewigt hatte, waren mit diesem Satz gestrichen. Carlo war sehr blass geworden. »Dann kann ich gehen«, sagte ich und sah ihn dabei an, »der Vortrag ist ja dann auch gestrichen.« Ich fragte mich, warum Carlo so dringend auf meiner Anwesenheit bestanden hatte. »Ja!«, sagte Ilse freudig. »Du kannst deine Termine wahrnehmen.« Carlo versuchte es noch: »Du kannst doch mit auf die Schifffahrt kommen.« Er war noch immer so blass, dazu nervös, etwas, das ich an ihm noch nie bemerkt hatte. Schließlich einigte man sich doch noch darauf, das Kennenlernspiel am Montagmorgen zu spielen. Dann sollte der Klassenleiter seinen Schülern die Schule zeigen. »Und wenn er das nicht macht?«, sagte irgendjemand. Ich realisierte langsam, dass hier offenbar eine Absprache im Vorfeld der Konferenz stattgefunden hatte. Mein Bauchgefühl, Ilses diebische Freude, und dann die rasche Einigung auf die Schifffahrt … »Das ist doch ganz einfach«, hörte ich Herb antworten, »Carlo sagt das dem Berthold und der macht das dann.« In diesem Moment kam mir alles so absurd vor, so unbeschreiblich lächerlich. Hatte es EVA nie gegeben? Waren wir wieder, oder immer noch, in der Anweisungsphase, in der Dienstweg-Sackgasse? War bei keinem dieser Lehrer EVA bis ins Bewusstsein vorgedrungen? Oder scheiterte es einfach an ihrem Unvermögen sie umzusetzen; konnten sie es einfach nicht? Ich ließ mich in den Sitz zurückfallen und lachte. Es war ein bitteres Lachen. Raphael war irritiert. Er wollte wissen, ob ich die Probleme mit seiner Klasse so sehe wie er. Was sollte ich dazu sagen? Allen war aufgefallen, dass ich mich, ganz entgegen meiner Gewohnheit, zurückgehalten hatte. »Nein«, antwortete ich, »EVA dauert vom ersten Tag der Learning-by-Doing-Phase bis zum letzten Tag des letzten Semesters. Und innerhalb dieser Planung sind deine Schüler nicht auffällig bei mir.« Ich hatte keine Lust mehr auf
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