Schule versagt
Erklärungen, die ich tausendmal gegeben hatte. Wer EVA jetzt noch nicht begriffen hatte, dem konnte und wollte ich nicht mehr helfen. EVA war tot. Ich verließ den Leichenschmaus, der Ilse so viel Freude machte. Sebastian sah erstaunt aus, als ich ging, und schaute irritiert hinter mir her. Carlo, blass und irgendwie hilflos, sagte noch: »Ich habe ja deine E-Mail -Adresse.« Das war ’s.
Die Zeit des Abschiednehmens war gekommen. Mein ersterGedanke war: Das ist Stoff für das Buch, wie du ihn dir besser nicht hättest ausdenken können! Eine gelungene Pointe nach all den Monaten der Planung, der Vorbereitung, den Jahren der Umsetzung, der Evaluation, der Optimierung, nach all den investierten Stunden. Am Ende stand keine Synergie, wie ich sie meinen Schülern immer ans Herz gelegt hatte. Am Ende stand das Scheitern – nicht des Konzepts, sondern der beteiligten Menschen.EVA wurde an diesem Tag endgültig begraben. Mit dem Ende der Learning-by-Doing-Woche hatte sie ihren Eingangspart, der so wichtig für die Durchführung des Gesamtkonzepts war, verspielt. An der Einhaltung der Prämisse »Erstes bis sechstes Semester!« hatte ich sowieso von Beginn an Zweifel gehabt.
Hätte ich die klassische Lehrerdisposition gehabt, wie die meisten meiner Kollegen: Wäre es mir ergangen wie ihnen? Ich war der Fremdkörper geblieben, »vergeistigt«, wie Ilse sagte, untypisch. Das Misstrauen wich nie ganz. Und doch war ich zu einem Teil der Institution geworden, musste es werden. Ich musste mich, zumindest teilweise, in ihre Strukturen fügen. Begriffe wie »Dienstweg« und »Zuständigkeit« waren mir nicht mehr fremd. Meine Schüler aber waren der Hauptgrund für das, was mein Sohn »reinschlonzen«, mit echtem Engagement agieren, nennt. Mein Anliegen in meiner Zeit in der Schule war ihr Wohl und Wachstum gewesen, und das war es, was, trotz aller Fehler und Misserfolge, das ganze Experiment erträglich machte. Um die für die Recherche notwendige Distanz trotzdem zu bewahren, beobachtete ich mich ständig selbst. Wie reagierte ich auf Situationen, Probleme, Konflikte? Wie veränderte ich mich im Laufe der Zeit? Und warum? Manchmal war das sehr schwer. Es ist, als würde man in einen Spiegel schauen, stundenlang, bis man sich selbst nicht mehr erkennt und in das eigene Gesicht wie in ein fremdes sieht. Die Zuneigung zu meinen Schülern blieb. Ich war kein Lehrer geworden. Die Schüler nahmen mich zu Anfang immer in dieser Rolle wahr, weil sie es gewohnt waren, den, der da vorn sitzt, als »Lehrer« zu sehen – und dann merkten sie, dass ich anders war. Die einen mehr, die anderen weniger, je nachdem, wie sie ihr Rollenbild und damit ihre eigene Prägung in und durch Schule bereits internalisiert hatten. Mir schien, als hätte ich zumindest eines erreicht, eine gesunde Balance zwischen Engagement und Distanz, neben Belastbarkeitund Zufriedenheit einer der Schlüssel für körperliche und seelische Gesundheit in der Schule. 11
Im Auto, auf der Heimfahrt nach dieser wohl allerletzten EV A-Konferenz , merkte ich, dass das Scheitern von EVA nicht nur eine gelungene Pointe für mein Buch war.EVA war auch und besonders mein Kind. Dass ich sie später in der Arbeit mit meiner Klasse in das Konzept des Servant Leadership, des Entrepreneurship und der Förderung der Soft Skills integriert hatte, änderte daran nichts. Im Gegenteil; EVA war ein Teil nicht nur dieses Gesamtkonzepts, sie war ein Teil von mir, von dem Teil, den ich in die Schule mitgenommen hatte. Ich war einfach nur traurig. Und ich brauchte einen ganzen Tag, um wieder Distanz zu bekommen. Zu tief saß die Enttäuschung, zu schlimm war die Erkenntnis, dass auch Carlo so schnell (zu schnell) der »Verlegung« der Learning-by-Doing-Phase zugestimmt hatte. Es war der letzte Ast des Baumes, den man mir damit abgesägt hatte. Auch Carlo – das tat weh.
Zu Hause fiel mir der Brief ein, den der Schulleiter zur Einführung von EVA an unserer Schule an alle Kollegen geschrieben hatte. Er stammte aus unserem ersten EV A-Jahr . Irgendwo musste er abgeheftet sein. Ich hatte alle Materialien abgeheftet, mehr oder minder strukturiert. Oh, Herb, hätte ich von dir gelernt! Ich war sicher, dass in Herbs »Klippert-Ordner«, so wie in allen anderen, nicht ein Blatt fehlte oder am falschen Platz abgeheftet worden war. Während mir das durch den Kopf ging, kramte ich in den drei Aktenordnern herum, auf denen »EVA«, »Learning-by-Doing-Woche« und »Fixed Day« stand. Es war
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