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Schumacher, Jens - Deep

Schumacher, Jens - Deep

Titel: Schumacher, Jens - Deep Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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gut sehen konnten.
    Als er das entsetzte Keuchen aus zwei Kehlen hörte, begriff Henry plötzlich.
    Er hatte sich während der monatelangen Pflege an den Anblick von Dr. Wilkins’ entstelltem Äußeren gewöhnt. Längst fiel ihm nicht mehr auf, wie sehr der Körper seines Vaters nach den unzähligen Operationen einem Schlachtfeld glich. Auf einen Außenstehenden musste der Anblick dagegen schockierend wirken.
    Die geringsten Spuren waren an den Armen zurückgeblieben. Hier hatte lediglich Haut entfernt werden müssen, die sich zwischen Oberarmen und Brust sowie den Fingern gebildet hatte, um diese zu schlangenartigen Tentakeln umzufunktionieren. Die Verformung der betroffenen Knochen hatte sich durch die Verabreichung von konzentriertem Calcium stoppen und teilweise umkehren lassen.
    Weniger ansehnlich war die Region unterhalb des Kopfes. Zwar wurden Teile der Narben, die beim Entfernen der sternförmigen Hautwülste entstanden waren, von Donald Wilkins’ Vollbart gnädig verdeckt. Als er jedoch sein Halstuch löste, kam darunter ein Meer aus knotigem, blassrosa Narbengewebe zum Vorschein, das sich vom Kiefer bis auf die Brust erstreckte, auf dem Rücken von den oberen Halswirbeln bis hinab zu den unteren Rippen. In diesem Bereich hatte das Mutagen während des Komas in großem Umfang zusätzliches Gewebe gebildet – kaum verwunderlich, wenn man bedachte, dass Henrys Vater am Ende der Verwandlung über keinen Hals mehr verfügt und seinen sternförmigen Kopf direkt auf dem rhombenförmigen Torso getragen hätte. Hals und Schultern hatten im Verlauf mehrerer chirurgischer Eingriffe freigeschnitten und anschließend plastisch nachgebildet werden müssen, bis zumindest ihre grobe Form wiederhergestellt war.
    Am schlimmsten war die Bauchgegend betroffen, wo das Mutagen die Bildung zusätzlicher Gliedmaßen eingeleitet hatte. Insgesamt sieben Ausstülpungen unterschiedlicher Größe und Form waren hier entstanden, drei kleinere ohne tragende Struktur sowie vier größere mit einem Knorpelskelett im Innern. Letztere hätten sich zu Flügeln oder Flossen weiterentwickelt, die kleineren zu mehrfach verzweigten Greifarmen. Keiner der Auswüchse war weit ausgebildet gewesen, dennoch hatte es zwei größere Operationen gekostet, um die vier Pseudoflügel zu entfernen, deren Ansätze auf komplexe Weise mit der Muskulatur von Brust und Rücken verbunden waren. Vier handgroße Ansammlungen von Narbengewebe zeigten, wo sie gesessen hatten.
    Bei den übrigen drei Zusatzgliedern hatte es sich lediglich um schlaffe, graue Hautausstülpungen gehandelt, rüsselartige Anhängsel von der Größe eines Fingers, die über keinerlei taktile Empfindung verfügten. Aufgrund der Vielzahl der bereits erfolgten Eingriffe hatte Henrys Vater beschlossen, die Entfernung dieser nicht übermäßig störenden Elemente auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Als seine Entlassung aus dem Krankenhaus in greifbare Ferne rückte, hatte sich dieser Zeitpunkt immer weiter nach hinten verschoben – und noch weiter, als sich ihm die Gelegenheit einer Forschungsreise nach Java bot. Aus diesem Grund waren die Anhängsel bis heute nicht entfernt worden.
    Mit unverhohlenem Entsetzen starrte Gordon McKenzie seinen alten Freund an. Henry konnte förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.
    Der Biologe tat ihm ein wenig leid. Henry wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, wenn die Welt, die man bisher gekannt hatte, schlagartig infrage gestellt wurde. Besser, als ihm lieb war, erinnerte er sich an die Panik und Unsicherheit, die dies mit sich brachte.
    Becca hatte sich besser im Griff. Einen Ausdruck faszinierter Neugierde im Gesicht, marschierte sie zweimal komplett um Dr. Wilkins herum. Mehrfach schien sie versucht, die großflächigen Narben mit den Fingern zu berühren. Als sie ihre Musterung abgeschlossen hatte, kehrte sie zu ihrer Pritsche zurück und ließ sich darauffallen. »Scheiße«, sagte sie laut. Aus ihrem Mund klang es so unpassend, dass Henry beinahe gelacht hätte.
    »Damit wäre das geklärt. Ihr sagt die Wahrheit.« Becca warf dem Meeresbiologen einen fragenden Seitenblick zu. »Oder sehen Sie das anders, Dr. McKenzie?«
    »Ich … das …« Gordon McKenzie rang nach Worten. Er sah aus, als hätte er etwas Verdorbenes gegessen. »Verdammt«, brachte er schließlich hervor. »Donald, du … Warum hast du mir nicht früher davon erzählt?«
    Henrys Vater griff nach seinem Hemd und zog sich wieder an. »Weil ich dir diesen Anblick

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