Schumacher, Jens - Deep
Chancen …«
»Und was hätten Sie gesagt, wenn er nachgehakt hätte?« Becca legte interessiert den Kopfschief.
Henry bemerkte, dass sein Vater unter seinem Stuhl nervös mit den Füßen scharrte. Er lehnte sich vor und berührte ihn leicht am Arm. »Es hat keinen Sinn, Dad. Irgendwann müssen wir darüber sprechen.«
»Niemand, der nicht in der Antarktis dabei war, könnte uns glauben«, gab Dr. Wilkins heiser zurück.
»Wovon zum Teufel redet ihr?«, wollte McKenzie wissen.
»Vielleicht doch. Becca und Gordon haben durch das Bullauge der U-196 schließlich dasselbe gesehen wie wir.«
Beccas Augen verengten sich. »Jetzt würde ich aber allmählich gern Klartext hören! Das alles klingt, als hättet ihr tatsächlich eine Ahnung davon, was sich in dem alten Blechkasten verstecken könnte!«
Als sein Vater keine Anstalten machte, das Wort zu ergreifen, holte Henry seufzend Luft und begann zu erzählen.
25
UNTERWASSERHABITAT NEUSCHWABENLAND,
27. SEPTEMBER 2013
Es dauerte fast eine Dreiviertelstunde, bis alles gesagt war. Henry begann damit, wie er fünf Monate zuvor die Reise in die Antarktis angetreten hatte und bei seiner Ankunft feststellen musste, dass sein Vater verschollen war. Als er bei der Entdeckung des in keiner Karte verzeichneten Gebirgszuges und der jahrmillionenalten Stadt ankam, fiel ihm sein Vater immer häufiger ins Wort und übernahm schließlich für eine Weile komplett die Erzählung. Henry schilderte anschließend ihre Rückkehr in die Zivilisation und den Verlauf von Dr. Wilkins’ Genesung, bevor dieser erneut das Wort ergriff und Becca und McKenzie über die kürzlich entdeckten Inschriften unter dem Borobudur informierte. Zuletzt berichtete er von seiner Interpretation der Orts- und Zeitkoordinaten, die sich auf unheimliche Weise exakt auf die aktuelle Gegenwart und den Standort des U-Boot-Wracks bezogen.
Als er zum Ende kam, legte sich dumpfes Schweigen über den kleinen Raum. Nur ein stetiges Brummen aus den Eingeweiden des Habitats war zu hören, möglicherweise ein Reaktor, der zusätzliche Energie erzeugte.
Die Stille zog sich immer länger hin. Niemand schien das erste Wort sagen zu wollen. Henry konnte es verstehen. Er wusste nicht, wie er selbst reagieren würde, hätte ihm jemand eine derart unglaubliche Geschichte aufgetischt. Dennoch fühlte er sich besser, weil es endlich keine Geheimnisse mehr zwischen ihnen gab.
Schließlich räusperte sich Dr. McKenzie umständlich. »Du bringst mich in eine unangenehme Lage, Donald«, begann er. »Ich schätze dich als Freund, das weißt du. Und ich halte dich für einen der fähigsten Köpfe, die deine Fachrichtung zu bieten hat.«
Er holte tief Luft. »Das macht es mir allerdings nicht unbedingt leichter, euren Bericht irgendwie einzuordnen. Ich weiß, dass du nicht der Typ bist, der sich irgendwelche wilden Räuberpistolen ausdenkt. Andererseits hat man schon von kältebedingten Halluzinationen gehört, von Psychosen, die Menschen im Angesicht tödlicher Gefahren manchmal entwickeln.« Er lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. »Ich bin mir sicher, ihr habt am Südpol Extremsituationen durchgemacht. Dass du, Donald, mehr tot als lebendig von dort zurückgekehrt bist, sieht man dir noch heute an. Mir ist auch klar, dass ihr alles, was ihr uns gerade erzählt habt, selbst glaubt. Aber – versteht mich nicht falsch -was dort unten wirklich geschehen ist …« Er verstummte vielsagend.
Henry sah Hilfe suchend zu Becca hinüber. Sie hatte während seines Berichts mit angezogenen Beinen auf der Pritsche gehockt und konzentriert zugehört. Dabei hatte sie Henry keine Sekunde aus den Augen gelassen, auch wenn gerade sein Vater sprach.
Das Mädchen erwiderte seinen Blick schweigend für einige Sekunden, ohne dass sie mit einer Regung verraten hätte, was sie dachte. Dann sagte sie langsam: »Gibt es für das, was ihr erzählt habt, irgendeinen Beweis? Ich meine, einen handfesten, richtigen Beweis?«
Henry holte Luft, um erneut zu betonen, dass er die Inschriften und Reliefs in der Felsenkammer mit eigenen Augen untersucht hatte. Dann dämmerte ihm, dass dies eben kein handfester Beweis war – er konnte nicht belegen, dass es sich dabei nicht nur um Einbildung oder Halluzinationen handelte.
In diesem Moment erhob sich sein Vater von seinem Stuhl. Henry beobachtete verwundert, wie er sein Hemd aufzuknöpfen begann. Er streifte es ab, trat unter die Deckenleuchte und drehte sich so, dass Becca und Dr. McKenzie ihn
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