Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis
gigantischer Gebirgszug in Sicht kam. Seine irreal anmutende Höhe stellte sich rasch als Resultat einer Luftspiegelung heraus. Mysteriös bleibt die Sichtung dennoch; laut unseren Karten sollte sich das Grundgestein in diesem Gebiet an keiner Stelle über den Eisschild erheben.
War die Inschrift auf der Spitze der Felsnadel eine Art Wegweiser? Sind diese Berge das, worauf sie hinwies?
30. März 2013 (abends)
Haben den Fuß des unerklärlichen Gebirgsmassivs erreicht und unser Lager aufgeschlagen. Dr. Eisley vermutete, es könne erst in jüngster Vergangenheit aus dem Eis aufgetaucht sein, andernfalls hätten die Gipfel bereits vor uns jemandem auffallen müssen. Der Gedanke erscheint lächerlich, andererseits muss sich ihr Vorhandensein ja irgendwie erklären lassen.
Nach wie vor keine Spur von Wylde oder Clegg. Unruhe im Team, eine nicht fassbare Nervosität liegt über dem Lager.
Was stimmt hier nicht?
31. März 2013 (morgens)
Schon wieder zwei Personen verschwunden! Seit den frühen Morgenstunden fehlen Anne Klein, die österreichische Glaziologin, und Anders Ringsberg, einer unserer Fahrer. Umstände identisch mit denen im Falle von Wylde und Clegg: Zelte unversehrt, Abmarsch in voller Montur, als Gepäck lediglich etwas Proviant. Mehrere Mitglieder des Teams stimmen darin überein, dass sowohl Klein als auch Ringsberg in den letzten Tagen auffallend blass wirkten; Dr. Aksel sprach von »ungesund gräulicher Hautfarbe« und »aufgequollener Gesichtshaut«. Er meint, dies seien möglicherweise Anzeichen für Vitaminmangel oder eine Überempfindlichkeit gegen die Temperaturschwankungen, denen wir beim Wechsel von drinnen nach draußen (heute früh: minus 39 Grad) ständig ausgesetzt sind. Mir ist nichts dergleichen aufgefallen. Aber ich war, ehrlich gesagt, auch mit anderen Dingen beschäftigt.
Vor den Zelten von Klein und Ringsberg wiederum Fußspuren im Schnee. Wir folgten ihnen bis zu einem Steilhang, der zu einem schmalen Pass zwischen zwei Bergrücken hinauffuhrt. Offenbar sind die beiden gemeinsam hinaufgeklettert. Wozu? Wollten sie das, was sich dahinter verbirgt, als Erste sehen?
31. März 2013 (abends)
Unglaublich! Am Mittag Überquerung des Passes an Bord eines der SnoCats. Auf der andere Seite Entdeckung einer unvorstellbar großen Ansammlung von Ruinen: Häuser, Türme, Brücken, Wälle, alle einem gänzlich unbekannten Architekturstil zugehörig. Sinnverwirrende Winkel und Schrägen, habe so etwas noch nie zuvor gesehen.
Nachmittags Errichtung eines Lagers im Talkessel, am Fuß des Abhangs. Li nahm Gesteinsproben von einigen der schwarzen Bauwerke, um sie zu untersuchen.
Beim Abendessen im Hauptzelt trug sie uns die Ergebnisse vor. Demnach ist das Basaltgestein, aus dem die Gebäude geschaffen wurden, rund hundert Millionen Jahre alt – die Stadt stammt also schätzungsweise aus der Jurazeit. Bei dieser Vorstellung blieb nicht nur mir das Essen im Halse stecken. Das einzige Leben, welches in dieser vorgeschichtlichen Epoche auf der Erde existierte, waren Dinosaurier!
Bestürzung und Ratlosigkeit im Team, verstärkt durch das nach wie vor ungeklärte Verschwinden von Wylde, Clegg, Klein und Ringsberg. Was geht hier vor? Wo sind wir nur gelandet? Was ist das Geheimnis dieser unheimlichen Metropole?
Ich bin entschlossen, es herauszufinden!
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VIDEODATEI, DIGITAL SIGNIERT AM 04. APRIL 2013
Ein weißer, pixeliger Blitz. Das Innere eines quadratischen Einmann-Expeditionszelts wird sichtbar.
Langsam justiert sich der Autofokus auf die Umrisse einiger weniger Einrichtungsgegenstände: Kisten, ein Kerosinheizer, ein Benzinkocher. Die einzige Lichtquelle besteht aus einem kleinen Lämpchen an der Kamera, dessen Schein kaum die Eingangsschleuse auf der gegenüberliegenden Seite erfasst. Das Bild ist unscharf, fast ohne Farbe.
Der Ausschnitt wackelt, die Hand des Filmenden schwankt.
Aufgeregtes Atmen in unmittelbarer Nähe der Kamera, ein scharfes Luftholen. Dann Stille.
Die Kamera schwenkt zur Seitenwand des Zelts. Die Plane bewegt sich leicht im Wind.
Ein gedämpftes, rhythmisches Knirschen ist zu hören. Allem Anschein nach liegt der Ursprung des Geräuschs außerhalb der Zeltwände: Schritte auf festgetretenem Schnee.
Die Schritte nähern sich dem Zelt, halten inne.
Stille.
Plötzlich ertönt ein feuchtes, gurgelndes Geräusch, als sauge jemand zähe Flüssigkeit durch einen Strohhalm. Der Laut wiederholt sich, erinnert jetzt beinahe an das Schnüffeln eines
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