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Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Titel: Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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wusste nicht, wie er entschieden hätte, wenn Golitzin ihn vor die Wahl gestellt hätte. Inmitten der Albtraumgebäude, schiefen Rampen und tot starrenden Fensteröffnungen verspürte er mittlerweile ein starkes körperliches Unwohlsein. Das ständige Pfeifen das Windes zerrte an seinen Nerven.
    Golitzin hämmerte einen Pflock ins Eis und befestigte das Seil mit einem professionellen Knoten. »Ich gehe voran«, bestimmte er. »Henry kommt nach, sobald ich unten bin. Lincoln hält hier oben Ausschau und folgt als Letzter.«
    »Was? Wieso ich? Hey, wieso soll ausgerechnet ich Ausschau halten?«
    »Weil ich sicher bin, dass wir deine Stimme mühelos bis ganz nach unten hören werden, sollte etwas Unvorhergesehenes passieren.« Damit schwang der Russe sich über den Rand des Lochs und ließ sich mit gleichmäßigen Bewegungen hinab.
    Nicht einmal eine Minute später ertönte seine Stimme erneut, diesmal dumpf und verzerrt durch die Trichterwirkung des Schachts. »Bodenkontakt nach fünfeinhalb Metern. Die Öffnung im Stein ist tatsächlich ein Durchgang zu einer tieferen Ebene. Kein Eis dort unten, so weit das Licht der Taschenlampe reicht. Dafür steinerne Klettersprossen in der Seitenwand. Henry, kommst du?«
    Henry atmete zweimal tief durch, dann kniete er sich hin und ergriff das Seil. Bevor die Kälte des Eises durch die Knie seiner isolierten Hosen dringen konnte, ließ er sich über die Kante des Lochs rutschen.
    Die plumpen Handschuhe und die dicke Kleidung behinderten ihn beim Klettern, doch wenig später stand er in dem engen Hohlraum am Fuß des Schachts. »Es … es ist warm hier«, stellte er überrascht fest und zog sich die Kapuze vom Kopf.
    »Der Iglu-Effekt«, erklärte Golitzin und gab Lincoln ein Zeichen, ebenfalls nachzukommen. »Ein kleiner, windgeschützter Hohlraum, dazu die Isolierwirkung des Eises und ein bisschen Körperwärme. Hinzu kommt die aufsteigende Luft vom Grund des Kanallochs. Dort unten scheint es tatsächlich deutlich wärmer zu sein als an der Oberfläche.« Er fuhr prüfend mit der Hand über die kristallklare Wand des Eisschachtes. »Es dürfte Lincoln und dich übrigens beruhigen zu hören, dass diese Öffnung von oben nach unten gebohrt wurde, nicht umgekehrt. Der Verlauf der Kerben im Eis lässt keinen Zweifel daran.« Als Lincoln ungeschickt neben ihm auf dem Boden aufkam, fügte er hinzu: »Also keine erwachten Außerirdischen, die sich einen Weg ins Freie gebohrt haben.«
    Golitzin kniete sich hin und tastete mit dem Fuß nach dem obersten der Tritte, die er in der steinernen Wand des Kanalschachts ausfindig gemacht hatte. Henry und Lincoln folgten.
    Die Kletterpartie endete nach rund zehn Metern. Die Strahlen der MagLites erhellten einen breiten, aus schwarzem Stein gemauerten Korridor mit fünfeckigem Querschnitt. Er maß gut drei Meter in Höhe und Breite. Anders als bei den Bauwerken, die sie über der Erde gesehen hatten, war die Oberfläche des schwarzen Gesteins hier kaum verwittert. Vielmehr wirkte sie poliert, wie von generationenlanger Abnutzung.
    Im Gang herrschte Totenstille. Nicht einmal der nervige Wind war hier unten noch zu hören.
    »Oh Mann«, hauchte Lincoln – und zuckte prompt zusammen, als seine Stimme von den Tunnelwänden geisterhaft zurückgeworfen wurde. Leiser fuhr er fort: »Wenn es jemals einen Ort gab, an dem ich ums Verrecken niemals sein wollte, dann ist es dieser hier.«
    Golitzin leuchtete mit seiner Lampe nach rechts und links. Der Gang schien sich nach beiden Richtungen fortzusetzen, so weit das Auge reichte. Der Russe suchte Henrys Blick und hob fragend die Brauen.
    Henry verstand. Es war sein Vater, den sie hier unten suchten, also lag es an ihm, die Richtung zu bestimmen. Sollte Donald Wilkins tatsächlich Tage oder Wochen zuvor an dieser Stelle gestanden haben, so bestand eine gewisse Chance, dass seine Bauchentscheidung ähnlich ausgefallen war wie die, die Henry nun treffen würde.
    Zögernd hob er den Arm und deutete nach links. »Also … ich würde dort entlanggehen.«

21
     
    IM TUNNELSYSTEM, 15. APRIL 2013
     
    Nebeneinander schritten sie durch den Tunnel. Er verlief exakt geradeaus, wie mit dem Lineal gezogen, aber bereits nach wenigen Schritten tauchte eine Abzweigung auf, ein schmaler, ebenfalls fünfeckiger Türausschnitt auf der rechten Gangseite. Golitzin leuchtete hinein, doch es war nichts weiter zu sehen als schwarzer, polierter Stein. Sie blieben auf dem Hauptgang.
    Weitere Abzweigungen folgten, sporadisch zunächst,

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