Schurken machen Krawall
ich.
„Ich hoffe, ihr wisst, dass der Wald hier gefährlich und kein Spielplatz ist“, sagte der Mann in Grün und reichte mir seine Hand. Ich ergriff sie und er zog mich mit Schwung hoch, sodass ich einen kleinen Moment schwebte, bevor ich wieder auf meinen zwei zittrigen Beinen stand. Als ich seine kräftige Hand losließ, sah ich, dass er lächelte.
„Wie heißt du denn?“, fragte er, und meine Gedanken irrlichterten durch meinen Kopf. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Oder war es besser, ihn anzuschwindeln?
Ich entschloss mich zu lügen.
„Ich bin Knut Füllenlücker“, sagte ich und biss mir auf die Lippen. Was war das denn für ein dämlicher Name? Obwohl – mein echter Name klang ja auch, als hätten meine Eltern den im Irrenhaus aufgeschnappt. Sebastian Traugott von Nervköter.
„Hallo, Knut.“
Weil ich seinen Namen nicht kannte, sagte ich nur: „Hallo, äh …“
„Dr. Leier, ich bin hier der Förster“, sagte er freundlich und reichte mir zum zweiten Mal die Hand. Diesmal schüttelte ich sie erleichtert. Förster sind im Grunde ja auch Helden. Nicht direkt Superhelden, aber immerhin.
„Sebastian?“, schrie Barbara, und ich schrie „Hier!“ zurück. Dr. Leier grinste.
„Ah, du heißt Sebastian, Knut?“
Ich scharrte mit den Füßen im Dreck und wurde rot. So schnell als Lügner enttarnt zu werden, war neu für mich. Normalerweise dauerte das länger. In der Regel vier Minuten. Mein Rekord lag bei knapp über zwei Stunden. Da waren die Röntgenbilder im Krankenhaus fertig gewesen und meine Lügengeschichte von den dreißig Nägeln, die ich angeblich wegen Eisenmangel zum Frühstück verputzt hatte, flog auf, und ich musste zurück zur Schule, um die Mathearbeit nachzuschreiben.
„Ja“, sagte ich tonlos und Dr. Leier lachte, während Barbara sich durchs Gestrüpp zu uns kämpfte.
„Was’n los?“, fragte sie. Dann entdeckte sie den Mann in Grün und verstummte.
„Schon gut, Barbara. Das ist Herr Leier, der Förster“, sagte ich.
Barbara entspannte sich. „Ich bin Barbara, ich wohne dahinten.“ Dann schüttelte auch sie ihm die Hand.
„Sehr nett, euch kennenzulernen“, sagte er. „Und ihr habt hier im Wald gespielt?“
„Ja, ähm … Ist das verboten?“, fragte Barbara vorsichtig.
„Verboten nicht. Aber gefährlich.“
„Ach, ich kenne mich gut im Wald aus“, winkte Barbara selbstbewusst ab.
„Wie weit ward ihr denn drin?“
„Nicht so weit. Nur ein paar Schritte“, log Barbara.
„Dann ist ja gut.“ Der Förster musterte uns und nickte. „Weiter geht ihr aber auch bitte nicht rein. So ein Moor ist kein Spielplatz. Das ist gefährlich. Habt ihr mich verstanden?“
„Klar“, sagte Barbara, und ich ergänzte: „Wir sind brave Kinder. Weil Barbara sonst ins Heim muss.“
„Internat“, verbesserte mich Barbara.
„Wo ist der Unterschied?“, knurrte ich.
„Wir müssen dann mal“, sagte Barbara und zog mich hinter sich her. Der Förster hob nur die Hand zum Abschied.
Unser Neben-dem-Baum-Baumhaus war verlassen. Von Dieter und Martin fehlte jede Spur. Was für Dieter nichts Ungewöhnliches war. Für Martin allerdings schon. Hatte ihn der Spinnenmann geholt und in den Wald verschleppt?
„Hier hängt ein Zettel. Sie sind zurück zum Haus“, sagte Barbara. Dann sah sie auf ihre Uhr. „Mist. Wir sind schon wieder zu spät zum Abendbrot.“
Ich wusste genau, was ihr in diesem Moment durch den Kopf ging: Unser Plan, uns wie brave Kinder zu benehmen, drohte kläglich zu scheitern.
Vor der Flügeltür zum Esszimmer der Schwemmes blieben wir stehen. Barbara richtete sich ihre Klamotten und strich sich die Haare glatt. Ich machte ihr alles nach, obwohl mir der Sinn dahinter nicht einleuchten wollte. Wir waren verschwitzt und verschmutzt. Da konnten wir an unseren Klamotten und Haaren rumzuppeln, wie wir wollten. Ihre Eltern mussten schon blind oder total blöde sein, wenn sie das nicht bemerkten.
Nachdem Barbara ihr T-Shirt in die Hose gestopft hatte, atmete sie noch einmal tief durch, lächelte mir etwas krampfig zu und öffnete die Tür.
Ein riesiger Holztisch stand inmitten des ansonsten fast leeren Zimmers. Vier große Holzstühle standen jeweils an den Seiten und einer an jedem Kopfende. Jeder Stuhl war so groß wie ein Thron. Hatten auf denen vielleicht schon Könige gesessen oder sogar coole Ritter oder Piraten? Piraten kamen mir am wahrscheinlichsten vor. Ein Piratenschatz würde auch das ganze Gold erklären, das man in Barbaras Badezimmer
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