Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
Vom Netzwerk:
Zumutung, dass sie selbst solch niedere Dienste
hatte verrichten müssen.
    Reiber hatte schon
das Handy gezückt und blaffte wohl die Spurensicherung an, augenblicklich
aufzutauchen. Dann schenkte er Frau Rümmele einen langen Blick, und Gerhard
fand, dass diese Vorstellung bühnenreif war: Reiber hatte etwas von einem
waidwunden Hirsch, alle Enttäuschung der Welt lag in seinen Augen.
    »Frau Rümmele, das
hätten Sie aber sagen müssen. Das sieht nicht gut aus, ts, ts, ts.« Vor allem
diese »Ts« mit schnalzendem Zungenschlag waren überaus beachtlich. »Gnädige
Frau, Sie wollen mich glauben machen, dass Sie den ganzen Tag nicht
hinausgeschaut und Ihren Mann überhaupt nicht vermisst haben?«
    Frau Rümmele brach
zusammen. Um ihre Mundwinkel zuckte es, was unschöne Linien in die sonnenbraune
Maske grub. Stirnfalten zeigten verräterische Tiefe, und ihr hysterisches
Schluchzen trug auch nicht gerade dazu bei, ihre Züge zu glätten. Doch eher an
die Fünfzig – dachte Gerhard bei sich.
    »Ich weiß nicht, ich
weiß nicht, ich weiß nicht!« Sie jammerte wie eine Platte, die penetrant in
einer Rille hing, und dann bedachte sie Volker mit einem tiefen Blick, der um
Mitleid bat: »Mein Mann und ich, wir führen eine offene Ehe, gell. Was soll man
da machen, oder? Mein Mann wollte das so. Wir haben getrennte Schlafzimmer.
Hanoi, ich überprüfe doch net, ob mein Mann im Bett liegt.«
    Volker schnalzte
noch ein »Ts«, bevor er ein neues Register seiner Verunsicherungstaktik zog.
»Na, nun beruhigen Sie sich, gnädige Frau, das wird sich doch alles klären
lassen, gell.«
    Erst erschrecken,
dann beruhigen. Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann, wer fürchtet sich vorm
Lederhosen-Reiber – nicht schlecht gemacht, musste Gerhard zugeben. Dennoch
hatte die Befragung nichts Erhellendes ergeben: Frau Rümmele war zu Hause
gewesen, das hatte die Hausdame bestätigt. Frau Rümmele war nämlich zwischen
sechzehn Uhr und zwanzig Uhr mit ihrem Schönheitsprogramm beschäftigt gewesen,
und die Hausdame hatte ihr mehrmals Champagner in den Whirlpool angereicht.
Deshalb hatte sie logischerweise auch nicht hinausgesehen. Das Auto war
anscheinend vom Himmel gefallen – so zumindest die Hausdame und Frau Rümmele
unisono.

5.
    Als Jo ihre Pferde
verlassen und ihr winziges Hexenhaus erreicht hatte, waren die Allgäuer Alpen
in ein sanftes Rosa getaucht. Nur wenige Minuten lang, dann wurde es dunkel.
Sie zog einmal tief die frische Luft ein, ließ das Auto wie immer unversperrt
schräg am Feldrain hängen und wandte sich dem Häuschen zu. So klein es auch
war, es war auf der Wetterseite mit typischen Schindeln verkleidet, so wie all
die traditionellen Bauernhöfe: westseitig geschindelt, im Osten und Süden der
Wohntrakt – ein Tribut an das harte Klima.
    Als sie das Häuschen
einigen Freunden vorgeführt hatte, waren die Kommentare konträr gewesen: Von
»süß« bis zum »letzten Arsch der Welt« hatte das Spektrum gereicht. Ein süßer
Welten-Arsch – hier in Göhlenbühl, das außer aus ihrem Miniaturhaus nur noch
aus zwei Bauernhöfen bestand. »Ganz allein, hier oben, vielleicht wenn man sehr
verliebt ist …?«, hatte ihre Freundin Andrea gemeint. Aber die lebte auch in
Berlin. Andrea kam schon München wie eine belächelnswerte Kleinstadt vor.
Außerdem, was hieß da allein? Jo hatte zwei Katzen, zusätzliche Kostgänger von
den umliegenden Bauernhöfen, sie hatte ein Karnickel und Telefon und E-Mail und
neuerdings sogar einen Heißwasserboiler. Purer Luxus sozusagen, wenn man
schnell duschte oder nur eine halbe Wanne einlaufen ließ – wegen des
Fassungsvermögens des Boilers. Sie besaß eine alte Ölheizung, bei der man
gewisse Abstriche bei der Wärmeverbreitung machen musste – aber erst bei
Minusgraden unter zehn Grad, und so oft herrschten solche Kühlschranktemperaturen
ja auch nicht im Allgäu.
    Etwas strich um ihre
Beine, aha, Frau Mümmelmaier von Atzenhuber, vulgo »Mümmi«. Die Katze maunzte
vorwurfsvoll: Kommst du auch endlich mal nach Hause? Jo hob Mümmi hoch, hängte
sie sich über die Schulter und marschierte ins Haus. Mümmi stürzte sich sofort
auf Jos alten Wirtshaustisch: ein Juwel vom Antiquitätenhändler und eigentlich
viel zu teuer. Genau richtig für Mümmi zum Krallenschärfen, denn obgleich in
und um Jos Haus eine ganze Armada von Kratzbäumen stand, bevorzugte Mümmi
edlere Hölzer. Dabei kam sie vom Bauernhof. Sozusagen aus dem hinterletzten
Mistloch. Ihr Name war deshalb etwas lang

Weitere Kostenlose Bücher