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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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in Diepolz zeigt diese Zusammenhänge auf,
und nebenan befindet sich der erste Nutznießer. Die Sennerei kann
gewinnbringend wirtschaften. Haben Sie den Käse mal probiert, Herr Rümmele? So
etwas ist ein Geschenk des Himmels. Das ist ein Tourismus, der alle
zusammenschweißt. Ihr Event-Schuppen hingegen ist eine dämliche Plastikwelt,
ersonnen von Plastilin-Gehirnen.«
    Der Saal kochte,
alle schrien durcheinander, bis Rümmele hochschoss und einen dramatischen
Abgang inszenierte. »Hört nur weiter auf eure sauberen Ökos. Wir bieten euch
Arbeitsplätze, Aufträge für die Zulieferindustrie.« Er machte eine Kunstpause.
»Ich kann das Event Castle auch am Tegernsee oder in Ischgl bauen, die sind da
nicht so fortschrittsfeindlich wie hier in diesem hinterwäldlerischen, langweiligen Allgäu.«
    Alarmglocken!
»Arbeitsplätze« und »Fortschritt« – das waren die Marionettenfäden, an denen
ganze Gemeinderäte zappelten.
    Und dann gab ihnen
Rümmele gleichsam den Todesstoß. »Da soll sich euer Rascher nur für irgendeinen
zweifach getüpfelten Dickbauchfrosch einsetzen, für seine putzigen Allgäuer
Kühe und eine Minderheit minderbemittelter Bauern. Ich gehe!« Sprach’s und
rauschte aus dem Raum mit seinem Fanclub, gefolgt von Rascher und dessen hastig
ausgestoßenen Drohungen.
    Jo kehrte aus ihrer
Erinnerung zurück. Sie schaute Markus an, der noch immer an einem von Zentas
wackligen Küchenstühlen lehnte. Er hatte schon Recht. Frau Rümmele würde Peter
Rascher mit Sicherheit zum Mörder hochstilisieren. Jo wusste, dass Markus mit
seiner zeitlichen Einschätzung richtig lag. Peter Rascher und einige andere –
sie selbst ja auch – waren bis etwa sieben Uhr sitzen geblieben und dann
frustriert aufgebrochen. Jo sagte gequält zu Markus: »Aber der Peter Rascher
würde nie jemanden umbringen.«
    Nichts war mehr
übrig von der Euphorie des Morgens. Jo erhob sich. Sie drückte dem Anwander und
Zenta die Hand.
    »Der Heiter isch im
Stall, dem hob i eabas zum Freassa gäh«, sagte der Anwander. Falco! Den hätte
Jo fast vergessen.
    Als sie den Stall
betrat, gab Falco ein leises Wiehern von sich und senkte die Nase sofort wieder
ins Heu. Ihm schien es hier zu gefallen, der Anwander hatte zwei rabenschwarze
Shetlandponys, die Falco Gesellschaft leisteten, und Falco liebte neue
Gefährten – besonders solche, die kleiner waren als er.
    Mechanisch legte Jo
den Sattel auf und zurrte ihn erst gar nicht richtig fest. Sie ging zu Fuß
neben ihrem Pferd her, bis zum Stall, der in der Ortsmitte von Gunzesried lag.
Auf Falco warteten seine Stallkollegen. Fenja zwickte ihn sofort in den Hals
und machte klar, wer die Chefin am Heuhaufen war. Falco trollte sich zu Ginger,
einer zweijährigen Haflingerstute. Die biss er herzhaft in den feist gerundeten
Hintern. Alles war wie immer bei den Vierbeinern. Ihr habt ein Leben, dachte
Jo, als sie ihren Pferdestall verließ. Auf sie wartete niemand.

4.
    Nachdem Gerhard mit
Volker Reiber den Anwanderschen Hof verlassen hatte, fuhren sie schweigend
durch Gunzesried und Blaichach. Es war immer noch ein Bilderbuchtag. Das Licht
des Spätwinters tauchte die Landschaft jetzt am Nachmittag in klare, fast
skandinavische Farben. Der Himmel begann von Orange in einen Rosé-Ton zu
changieren. An vielen Häusern zierten Eiszapfen die Dachrinnen, Eisstalaktiten,
die langsam dem Frühjahr entgegenschmolzen. In Stein zog sich die Sonne gerade
vom Rodelhang zurück, und die Kids mit ihren Holzschlitten oder Plastikwannen
trollten sich allmählich nach Hause. Es wurde rasch kalt, als die wärmende
Sonne versunken war. Eine Horde Schneeball werfender Gören tobte gerade über
die Straße – und klatsch: Ein Schneeball landete auf Gerhards Scheibe.
    »Verrohte Bagage«,
ließ Volker Reiber sich vernehmen.
    Gerhard betätigte
lediglich den Scheibenwischer und fuhr durch Eckarts mit der markanten Kirche
oben auf dem Dorfhügel, schnitt die Kurven hinauf nach Dietzen und bog rechts
ab nach Oberdorf. Das Auto rumpelte über eine tiefe Abflussrinne, und Reiber
verzog schon wieder das Gesicht. »Und so was soll eine Straße sein.«
    Gerhard hielt vor
dem Anwesen der Rümmeles in Oberdorf. Eine weiße Villa, die ins Allgäu passte
wie eine Moschee aufs Nebelhorn, und ein Meisterstück des Stilbruchs dazu: Klotzige, alpenbarocke Balkone trutzten neben ligurischem Schmiedeeisen. Reiber
betätigte einen schweren Türklopfer, der zu einer Ritterburg gepasst hätte.
    Eine Hausangestellte
öffnete und führte

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