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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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ihn umbringen können, so wie der
das Allgäu demontiert hat. Obwohl ich mit dem ganzen Landidyll wirklich nichts
am Hut habe. Aber Rümmele ging zu weit. Ich möchte nicht mehr im Allgäu leben,
aber solche Hinterwäldler seid ihr dann auch nicht!«
    Jo stimmte zu.
»Danke, das tröstet mich! Aber im Ernst: Ich habe wirklich nicht das Gefühl,
dass wir ein eigenbrötlerisches Taldasein im Takt des Zillertaler
Hochzeitsmarsches führen, sondern dass wir versuchen, das Beste aus Tradition
und Fortschritt zu verquicken. Was ist denn so schlecht daran, zu den Wurzeln
zu stehen?«
    »Nix daran ist
schlecht«, sagte Andrea, »man zieht Kraft aus seinen Wurzeln. Aber so einer wie
dieser Rümmele hat das nicht verstanden.«
    Jo lächelte bitter,
als sie sagte: »Das interessierte ihn nicht. Er war ein gefühlloser Geldsack.
Aber ich habe auch immer saublöd reagiert. Ich hätte launig-humorig darauf
hinweisen können, wie charmant und authentisch – ein touristisches
Lieblingswort! – solche Eigenheiten doch sind. Ich habe das nicht geschafft,
denn Opportunismus und Taktik – das liegt mir eben nicht. Du kennst mich ja …«
    Jo konnte sich vorstellen,
wie Andrea grinste: »Da kommt halt bei dir der Eigensinn der Bergäffle durch!«
    »Plus eine gewisse
Resignation«, ergänzte Jo. »Bis zu einem bestimmten Punkt konnte ich Rümmele ja
verstehen. Klar, ich verwende auch Begriffe wie ›Trekking‹ oder ›Hiking‹ und
bin besorgt über unsere Gästestruktur, denn junge Leute bleiben aus. Ich bin
auf Leute mit Ideen angewiesen, aber für Rümmele gab es nur Extreme. Es gab nur
die dicke Kohle und den schnellen Erfolg. Der hatte ja keine Ahnung, für welche
winzigen Erfolge ich zu kämpfen habe. Und wie lange das dauert.«
    Andrea meinte: »Klar, du empfindest die Alteingesessenen auch nicht bloß als malerisches
Geschenk des weiß-blauen Himmels. So mancher von denen scheint ja schon
schuhplattelnd in Haferlschuhen auf die Welt gekommen zu sein. So was treibt
dich doch auch an den Rand eines gewaltigen Wutausbruchs.«
    »Darf es aber nicht!
Überall in den Orten sitzen die Trachtler und die Mitglieder der
Schützenvereine und Stockschützen in touristischen Gremien. Das sind oft derartige
Reaktionäre, dass denen jede Form von Tourismus zuwider ist. Die bierdimpfeln
in ihre Weißbiere und würden am liebsten eine Bürgerwehr gegen jede Form von
Gästen bilden. Aber das Geld nehmen sie schon, weil sie natürlich im Sommer
Fremdenzimmer vermieten«, antwortete Jo bitter.
    »Das braucht aber
auch viel Zeit. Die Uhren gehen anders im Gebirge. Das musst du auch
akzeptieren, Fräulein Ungeduld«, sagte Andrea.
    »Stimmt schon, aber
dir ist auch nicht immer nach Verständnis und Toleranz zumute. Licht und Schatten
liegen so dicht beieinander, im übertragenen wie auch im eigentlichen Sinn: gleißendes Sonnenlicht für wenige Stunden, aber eine lange Zeit des Schattens
zwischen den hohen Bergen. Wie sollen da die Menschen anders sein als
eigensinnig. Das ist doch auch unsere Chance. Ich rede mir das jedenfalls immer
wieder ein.«
    Jo hatte ein Wort
des Südtiroler Künstlers Leander Piazza über ihrem Schreibtisch hängen: »Es ist
nicht leicht, einen weiten Horizont zu haben, wenn man, um weit sehen zu
können, den Kopf nach oben reißen muss. Hinauf müsste man können, dann würde
sich der Horizont erweitern.« Ein Rümmele hatte nie begriffen, dass man das
konnte, dass die so oft belächelten Bergäffle sehr wohl hinaufkonnten auf ihre
Berge, auf einen letzten Schonraum in der hektischen Welt. Als Bergäffle konnte
man sehr wohl weiter sehen als andere. Das hätte sie gern ihren Gästen
vermittelt, gerade auch den jüngeren. Sie wollte sie in die echte Bergnatur
entführen, weg aus den virtuellen Chat-Rooms.
    Jo atmete tief
durch. »Und wie immer gibt es keine Lösung, weil es keine anderen Menschen
gibt. Für mich ist einfach die Waage zwischen Geben und Nehmen aus dem
Gleichgewicht. Die Gäste werden immer fordernder, die Vermieter immer
unverschämter. Es geht doch auch um eine Frage menschlich integren
Zusammenlebens. Ist das denn so schwer?«
    »Das
Allerschwerste!«, sagte Andrea.
    Wie immer, wenn sie
mit Andrea telefoniert hatte, fühlte sich Jo besser. Das Wasser war inzwischen
kalt geworden. Als sie dem Bad entstiegen und ins Wohnzimmer gegangen war,
lagen die Katzen auf der Couch – so dass sie am Boden kauerte und wegen
massiver Rückenbeschwerden wahrscheinlich wieder mal den Orthopäden würde
konsultieren

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